Ein katholischer Protestant

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Kleinbauernfamilie

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2.)  Ein katholischer Protestant 
 
Die Chronologie der Ereignisse hat sich in der Regel Sachzwängen und Sinn-
zusammenhängen unterzuordnen; deshalb sollte man bereits in diesem Kapitel im 
Auge behalten, dass sich manche der folgenden Episoden noch vor 1940 ereig-
neten, als Martin in den Kindergarten ging. Seine Volksschuljahre fielen gänzlich 
mit  dem  2.Weltkrieg  zusammen,  wurden  von  diesem  geprägt,  sowie  immer 
wieder  ganz  empfindlich  gestört  und  zogen  sich  deshalb  länger  hin  als  vor-
gesehen. Anschließend besuchte er neun Jahre lang das Gymnasium, zunächst in 
der  nahen,  aber  mit  den  Verkehrsmitteln  der  Nachkriegszeit  nur  schwer 
erreichbaren  Kreisstadt.  Deshalb  wechselte  er  später  ins  Internat  des  Kopler-
gymnasiums der fernen Provinzmetropole Königstadt. Aber woher bezog Martin 
seine Erfahrungen mit der angeblich alleinseligmachenden katholischen Kirche, 
ihrem so genannten 'Heiligen Vater' und anderen 'Heiligen', ihren Beichtvätern 
und  Kaplänen,  die  sich  nur  gar  zu  gern  um  das  Seelenheil  junger  Mädchen 
'sorgen'?  Wie  vorhergehendes  Kapitel  eindeutig  lehrt,  sollte  man  ihnen  dieses 
Sorgerecht besser radikal entziehen, weil es eine viel zu schicksalsschwere Bürde 
für solche an und für sich zölibatär sein sollenden Leute ist!! 
Sein  Vater,  der  Grübler  Franz,  entstammte  einer  streng  katholischen  KIein-
bauernfamilie, in der man der menschlichen Natur freien Lauf ließ und von Ver-
hütung  nichts  hielt,  ganz  im  Sinne  des  ebenfalls  angeblich  'Unfehlbaren'  im 
fernen  Rom.  Folglich  gab  es  auch  in  dieser  Generation  wieder  ein  ganzes 
Dutzend strammer Buben und Mädchen, die bereits im geschundenen Mutterleib 
oder kurz danach Verstorbenen nicht mitgezählt. Das Elternhaus war klein, der 
Tisch  groß,  handgefertigte  Maßarbeit  wie  für  das  Abendmahl  des  Herrn  mit 
seinen  Jüngern.  Doch  die  wenigen  Äcker,  die  Kuh,  eine  Ziege  sowie  zwei 
Schweine pro Jahr und fünfzehn Hühner ernährten alle gut, für jedes Kind und 
die Mutter eine Henne, für den Vater zwei; böse Zungen behaupteten sogar, für 
Letzteren  drei  und  die  Mutter  keine.  Auf  jeden  Fall  gediehen  alle  am  Leben 
gebliebenen Nachwuchskatholiken gesund und kräftig, auch wenn sie zu viert in 
einem Bett schliefen, je zwei von oben und unten; es war eben nicht so viel Platz 
wie  im  Vatikan  und  Castel  Gandolfo.  Aber  die  lustige  Enge  ging  ja  schnell 
vorüber,  denn  der  Jüngste  war  noch  nicht  richtig  auf  der  Welt,  verließen  die 
Älteren schon das Vaterhäuschen. Der 'verdammten' Schulpflicht noch nicht ganz 
entronnen, wurden sie bereits als Knechte und Mägde an Großbauern verdingt, 
für  Kost  und  Logis  und  abgetragene  Kleidung.  Die  Schulpflicht  deshalb 
'verdammt', weil zu Hause oft jede Hand, die schon eine Sichel halten konnte, 
gebraucht wurde. Da musste der Herr Lehrer so manches Mal schweren Herzens 
Verständnis aufbringen, etwa zur Erntezeit! Zum Glück fiel diese weitgehend mit 
den  Sommerferien  zusammen,  die  dann  auch  für  die  Kinder  alltäglich  mit 
schwerster körperlicher Arbeit ausgefüllt blieben. 
An eine Berufsausbildung war unter diesen Umständen bei keinem zu denken 
trotz  durchweg  guter,  insbesondere  auch  handwerklicher  Begabung.  Was  sie 
trotzdem aus ihrem Leben machten zeigt, wie viel Talent und Intelligenz früher 
unter solchen Bedingungen unausgeschöpft blieben: Franz wurde ohne spezielle 
Lehre ein bekannter Haustierzüchter und Gärtner; im Krieg war er Fourier seiner 
Einheit und dasselbe später auch der seines Gefangenenlagers in England. Einer 
seiner Brüder, ohne ausgebildeten Trainer ein hervorragender Kunstturner, leitete 
später den örtlichen Sportverein, wobei es nicht nur um Turnen, Fußball beiderlei 
Geschlechts, Tennis und Kegeln ging, sondern auch z.B. um Fei
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bildung  bei  der  Wehrmacht  bis  zum  Kompanieführer;  später  fertigte  er  ohne 
entsprechende Ausbildung im Benehmen mit einem befreundeten Architekten die 
amtlichen Pläne für seinen eigenen Neubau und den von Geschwistern an, war 
dann Bauleiter, Polier und Maurer in preisgünstiger Personalunion, nicht nur von 
Martin bestaunt. Eine Schwester stieg in einem landwirtschaftlichen Großbetrieb 
von der 14-jährigen Dienstmagd zur verantwortlichen Melkerin. Sie formte auch 
aus dem Nichts eine Trachtengruppe, die Preise gewann und bei kaum einem 
Umzug  im  Ländle  fehlte.  Sie  selbst  entwarf  dafür  die  Kostüme.  Musikalisch 
begabt waren mehrere der Geschwister. Eine nach St.María-Josefingen Verehe-
lichte  wurde  dort  als  singende  Ulknudel  bekannt  und  durfte  bei  kaum  einer 
örtlichen  Veranstaltung  als  Stimmungsmacherin  fehlen.  Sie  brachte  es  fertig, 
neben  dem  Cäcilienchor  auch  im  katholischen  Männergesangverein  anerkannt 
mitzusingen als einzige Frau. Vom Afrikakorps kam einer in ein Gefangenen-
lager nach Amerika und agierte dort als Mitglied einer Sing- und Gitarrenband. 
Einem anderen wurde diese Begabung leider zum Verhängnis; als Schlagzeuger 
trat er auch im Zigarettenrauch verqualmter Spelunken auf, wurde als einziger der 
Zwölf selbst Raucher und starb relativ früh an Lungenkrebs.  
Das Wichtigste aber schafften ursprünglich fast alle diese Grüblers zielsicher, 
nämlich einen gut katholischen Ehepartner zu finden. Dies war nicht ganz ein-
fach, lebten sie doch diasporadisch im fast rein protestantischen Dorf Luthers-
hausen nicht weit vom Neckar, dem rechten Seitenfluss des deutschen Rheins. 
Unter den damals nur wenig über siebenhundert Einwohnern konnte man neben 
einigen Juden, Mennoniten und Gottlosen die katholischen Familien beinahe an 
den  Fingern  einer  Hand  abzählen.  Zum  Glück  lagen  im  nur  drei  Kilometer 
entfernten Nachbarort Sankt María-Josefingen die Verhältnisse genau umgekehrt, 
weil dazwischen früher eine längst vergessene lokal-feudalistische Grenze verlief, 
also ein Musterbeispiel vom einstigen 'cuius regio, eius religio'.  Und dort fand 
man  als  treuer  Anhänger  der  päpstlichen  Kirche  jede  Menge  Gleichtreue  und 
konnte nach Herzenslust ehelichen und Kenderles zeugen, mit all dem Segen, den 
der  zugehörige  Hochwürden  im  Auftrag  seines  'Papas'  und  Brötchengebers  in 
Rom freigiebig spendete. 
Nur der eigensinnige Franz tanzte aus der Reihe, besser gesagt, er fuhr! Denn als 
findiger Kopf hatte er sich mit Altteilen ein Fahrrad zusammengebastelt, das ihm 
ermöglichte,  über  die  drei  Kilometer  der  Fußgänger hinaus  einen  größeren 
Aktionsradius zu entfalten, auch und besonders bei der Brautsuche. Und er wurde 
prompt  im übernächsten Dorf fündig, volle fünf Kilometer südlich hinter María-
Josefingen. Dort aber lagen die Verhältnisse schon wieder wie bei ihm zu Hause 
und folglich glaubte seine Auserwählte protestantisch. "Ja, ja", sagte da wohl der 
Herr Kaplan, Hochwürdens rechte Hand und linke Faust, "habe ich nicht immer 
gewarnt: "Wer die Gefahr sucht, kommt darin um!" Nun, ganz so schlimm wurde 
es  nicht,  denn  die  'himmelschreiende  Paarung'  hielt  weit  über  die  diamantene 
Hochzeit hinaus, bis Gevatter Tod einen irdischen Schlussstrich zog. Und was die  
Ewigkeit angeht, so macht sich Martin nach einschlägigem Bibelstudium weitaus 
weniger Sorgen als z.B. derselbe Herr Kaplan, genauer gesagt gar keine. Er fand 
nämlich  dabei  nicht  ein  Sterbenswörtchen  gegen  eine  solche  Mischehe,  noch 
weniger gemischt als die von Mose, dem Knecht Gottes. Viel wichtiger erscheint 
ihm, dass seine Mutter, so lange sie Kraft dazu hatte, als führende Sopranstimme 
im  Kirchenchor  zu  Luthershausen  das  Lob  Gottes  erschallen  ließ,  wenn  auch 
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glauben kann!" - "Und ich glaube fest, auch ersingen!", wollte darauf der Kleine 
trotzig erwidern. 
Nun, was dem  auch sei, so zufällig wie sein Vater  ein  Fahrrad besaß,  wurde 
Martin also protestantisch, andernorts würde man es evangelisch oder lutherisch 
oder calvinistisch oder und und und nennen! Hinzu kam allerdings noch Franzens 
ketzerische  Einstellung,  dass  die  Kinder  konfessionell  wie  die  Mutter  werden 
müssten, und schon war das in der Grüblerfamilie nie Dagewesene, das schier 
Unfassbare, geschehen. Bei der Namensgebung entschloss sich das junge Paar 
allerdings  zu  Konzessionen:  'Martin'  konnte ja  auch  auf  den  allseits beliebten 
'Sankt Martin' gemünzt sein, bei dessen alljährlichen Umzügen sogar die kleinen 
Protestanten mitzogen, stolz ihr Laternchen tragend und fröhlich das Liedchen 
vom 'Guten Mann' mitsingend. Keiner sagte  den ahnungslosen, vertrauensseligen 
Herzchen, dass es laut  unserem Heiland Jesus  Christus einen wirklich  'Guten'  
unter den Menschen niemals gab und  in den Matthäus-, Markus- und Lukas-
Evangelien sowie im Alten Testament nachlesen konnten sie es auch noch nicht. 
Erst im Konfirmandenunterricht, etwa beim Lernen von Psalm 14, erfuhren sie 
gewöhnlich die ganze, niederschmetternde göttliche Wahrheit, meist ohne Lehren 
daraus zu ziehen, genau wie Katholiken, die ein Leben lang irrgläubig ihre soge-
nannten Heiligen als 'gute Menschen' verehren.  
Zusätzlich  erhielt  der  Neugeborene  in  einem  Doppelnamen  noch  den  eines 
Onkels väterlicherseits, so dass er laut Taufschein Paul-Martin heißt, was sogar 
an einige Päpste erinnern konnte, wenn man wollte. Gerufen wurde er aber, dem 
Beispiel seiner Eltern folgend, in der Regel nur Martin. Lediglich einige Grübler-
Dickköpfe nannten ihn beharrlich Paul-Martin, eingefleischte Lutherhasser sogar 
nur Paul, Paule oder Paulchen. Das führte manchmal zu Verwirrung und kuriosen 
Situationen,  besonders  wenn  Klein-Martin  oder  andere  falsch  reagierten.  War 
z.B. Tante Marthas etwas schwerhörige Freundin Pauline zu Besuch, fühlte diese 
sich  verärgert  angesprochen,  wenn  die  stets  um  seine  Erziehung  bemühte 
Großtante Anna-Maria aus Maria-Josefingen das Paulchen fragte, ob er nicht mal 
wieder Pipi machen müsse, ehe es in die Hose ging, als ob dies bei Pauline noch 
nie vorgekommen wäre! Martin stellte sich bei solchen Anlässen nicht immer ab-
sichtlich dumm, obwohl man das bei dem Schdebsele schon früh nie so recht 
wusste. Einmal soll er dem zufällig vorbeiradelnden  Dorfschreiner Paul, der gar 
nicht  zur  Familie  gehörte,  aber  von  allen  Leuten  geduzt  wurde,  nachgerufen 
haben:  "Halt  mal,  Paule  ond  komm  rai  zua  ons,  Dande  Annamaríe  well  di 
liabdrugge!" Großvater Georg, der gewohnt war, dass alle auf seinen Befehl hin 
sofort  parierten,  wurde  gar  schnell  zornig,  wenn  Martin  sich  erst  lange 
umschaute, wo denn da ein 'Paule' sei, den es doch in der gesamten Vetternschaft 
nicht gab, und Onkel Paul wohnte ja in Maria-Josefingen, wohin er pflichtgemäß 
geheiratet  hatte.  Mit  der  Zeit  wurde  aber  durch  dieses  Namen-Verwirrspiel 
Martins Reaktionsvermögen geschult, und wenn er wollte, wusste er sofort, wer 
gemeint  war!  Niemals  hätte  er  beispielsweise  der  alten  Pauline  ein  für  ihn 
bestimmtes  Guutzele  überlassen!  Wenn  sie  im  Missverständnis  danach  griff, 
packte er gewiss schneller zu. Nur, Pippi in die Hosen machen konnte sie of-
fenbar so gut wie er, besonders beim Husten und Lachen, wie sie selbst einmal 
leise zu Tante Martha sagte; aber der Gritzger hatte es trotzdem gehört. 
Selbstverständlich  erwartete  man  in  Vaters  Familie von  seiner  Mutter  als  der 
eingeheirateten Fremden, dass sie sich einfügen und konvertieren würde. Diese 
schaffte es jedoch nicht, nun plötzli
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ihrem Konfirmandenunterricht gelehrt, dass man so was nach Gottes Geboten gar 
nicht darf!!   
Franz, ihr Gatte, musste sich erst daran gewöhnen, dass ihm bislang Vertrautes 
ihr so schwer fiel, ja unmöglich war; aber er respektierte das und es gab niemals 
deswegen Schwierigkeiten in der Ehe. Nach außen schirmte er sie energisch ab, 
und wehe, es hätte jemand spürbar Druck auf sie ausgeübt! Das wäre unwei-
gerlich der totale 'casus belli' gewesen. Diesen fürchtete jeder, der ihn kannte. 
Normalerweise war er ein friedliebender Mensch wie seine Mutter, doch wenn 
ihn  oder  die  Seinen  jemand  angriff,  verlor  er  schnell  die  Selbstkontrolle  und 
konnte sich ganz 'vatern', was im Dorf, insbesondere auch bei den Geschwistern, 
nicht  nur  Gutes  bedeutete.  Deshalb  wagte  niemand  offen  in  seine  Lebensent-
scheidungen hineinzureden, bis auf Hochwürden, dem Beichtvater. Vor diesem 
hatten alle Katholiken blinden Respekt und von Kind auf gelernt, die Mütze zu 
ziehen;  der  konnte  ohne  Scheu  alles  sagen,  wie  ihm nur  dünkte;  kraft  seines 
Amtes hatte er für solche immer Recht! Doch bei Franz irrte er sich letztlich. Als 
diesem nämlich dessen todernstes Sorgen um sein und seiner Lieben Seelenheil 
zu bunt wurde, ließ er sich kurzerhand 'umschreiben' und die Kirchensteuer fortan 
für  die  evangelische  Konkurrenz  abziehen,  angesichts  der  familiären  Gesamt-
umstände, und wenn es stimmt, dass Erziehung zeitlebens prägt, eine ziemlich 
starke Entscheidung! Und sie kam bestimmt ohne Zutun der Ehepartnerin zu-
stande, dessen ist sich Martin gewiss; denn selbst von ihr hätte sich Vater bei 
einem derart weitreichenden Entschluss absolut nichts einreden lassen. Franz war 
da eher ein typischer Eigenbrötler. 
"Weshalb musste er damals bei seiner Brautschau auch so in die Ferne schweifen, 
wo doch die 'Guten' viel näher lagen", jammerte nun wohl erst recht der Herr 
Kaplan. In Sankt Maria-Josefingen gab es schließlich, wie zu allen Zeiten, recht-
gläubige, fromme Jungfrauen im Überfluss, da brauchte er keineswegs fünf Kilo-
meter weiter zu radeln, d.h. insgesamt acht, volle acht Kilometer, und das wegen 
einer dem Fegefeuer geweihten 'Ketzerin', die ihn doch nur mit ins gnadenlose 
Verderben ziehen würde! Hatte man ihm das nicht von Kindesbeinen an tag-täg-
lich prophezeit sowie unermüdlich als entsetzliches Schreckgespenst an die Wand 
gemalt?? Wie konnte das jemand in seinem Leben nochmals vergessen, letztend-
lich gar unbeeindruckt bleiben?? Schuld an allem war eben doch das Fahrrad, 
dieses  teuflische  moderne  Verkehrsmittel,  das  junge  Burschen  rasend-schnell 
weiterträgt als die Füße, auch wenn es vorn eine silbrig-glänzende und hinten 
eine rote Felge besaß, dazwischen einen selbst lackierten gelben Bau und darüber 
einen knochenharten, schmalen Längssattel. Diesen soll mal bei dem 371 km-
Klassiker  Schwenningen-Mannheim  ein  Rennradler,  der  als  letzter  Luthers-
hausen  passierte,  wütend  in  den  Straßengraben  geworfen  haben,  weil  er  ihm 
buchstäblich den Hintern zersetzte; man sah es an seiner beim Start bestimmt 
weißen Sporthose, als hätte er sie in Trollinger getränkt! Er sei dann im Bau 
stehend weitergefahren, während ihm die Dörfler 'aufmunternd' zuriefen, er solle 
doch einen 'grommen Buggl' und das Rennen machen; denn es wär noch 'koiner' 
durch.  Ja,  das  waren  harte  Kerle,  diese  Väter  Coppis  und  Bartalis  und  aller 
anderen Giganten der Straße von einst! So jedenfalls erzählte man Martin später 
die Episode, wenn auch mit ortsüblichem Vokabular, das man leider nicht überall 
versteht.  Als  Junge  fragte  er  nämlich  neugierig  einen  am  unteren  Dorfende 
wohnenden alten Sprücheklopfer, der bei ihnen Heu einlagerte, was das für ein 
komischer  Sattel  auf  dem  alten  Fahrr
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Elternhaus  gestanden  mit  einem  Schild  in  der  Hand: 'Suche  Bräutigam  mit 
Fahrrad!' Und als Vater zufällig vorbei radelte, stieg er ab, fragte nicht lange nach 
der Konfession, sondern setzte sie einfach auf den Gepäckträger und nahm sie mit 
nach Luthershausen. Dort heiratete sie zwar in eine mächtige katholische Familie 
hinein, aber auch in ein vor Selbstbewusstsein strotzendes protestantisches Dorf. 
Schnell  fand  sie  Anschluss,  insbesondere  über  den  mitglieder-  und  stimm-
gewaltigen  Kirchenchor,  der  neben  dem  Turnverein  bedeutendsten  ländlichen 
Kulturinstitution, weit über die Ortsgrenze hinaus bekannt.  
Die 'Neue' stieg schnell und neidlos zur führenden Sopranstimme auf, war da-
durch aber auch in einer starken Schutzgemeinschaft fast unantastbar integriert. 
Sie spürte das und half freudig mit, Gott zu lobsingen. Es handelte sich tatsäch-
lich  um  einen  überdurchschnittlich  guten  Chor,  den man  oft  weit  im  Ländle 
herum anforderte, etwa bei Gustav-Adolf-Festen. Und wenn er bei Beerdigungen 
oder am Krieger-Ehrenmal loslegte, schallte es weit über das ganze Dorf und 
seine Felder! Jedenfalls wurde das katholische Cäcilien-Mini-Chörchen glatt an 
die Wand gesungen, es sei denn dieses erhielt Verstärkung aus dem Nachbarort 
'Schosseffenge' - wie Sankt María-Josefingen normalerweise genannt wird - z.B. 
an Fronleichnam. Dann glaubten nur noch die hartgesottensten Erzprotestanten, 
dass  der  ihre  trotzdem  besser,  vor  allem  lauter  singe.  Unvoreingenommene 
wagten  dies  manchmal  vorsichtig  anzuzweifeln,  denn wenn  es  darum  ging, 
Überlegenheit zu demonstrieren, rissen auch die Katholischen bei Vokalen mehr 
als notwendig die Goschen auf. Eines scheint auf jeden Fall sicher: Wenn die 
Sängerscharen  beider  Dörfer  einmal  mit  gleichem  Brustton  der  Überzeugung 
gemeinsam gesungen hätten, wäre es bestimmt bis vor Gottes Thron gedrungen! 
Vater Franz besaß eine gute, kräftige Baritonstimme; den Chören hörte er aber 
lieber zu. Dafür war er im gänzlich überkonfessionellen Sportverein engagiert, 
insbesondere  in  der  Fußballabteilung,  zuerst  als  engagierter  Spieler,  später  als 
Berater, aushilfsweise auch als Schiedsrichter.  
Der solcherart und ohne gefragt zu werden, protestantisch getaufte Paul-Martin 
wuchs  zunächst  ganz  im  Schoß  der  allgegenwärtigen  katholischen  Verwandt-
schaft  auf.  Die  junge  Familie  wohnte  anfänglich  bei  einer  streng-gläubigen 
Großtante väterlicherseits, die das Büble tagsüber, wenn Sanne im Feld arbeitete, 
betreute und ihm früh den aufrechten Gang beibrachte. Zu welchen Vettern und 
Kusinen er auch kam, überall hingen Heiligenbilder, lagen Rosenkränze herum, 
standen Kruzifixe und war stets einer irgendwie gegenwärtig, den sie ehrfürchtig 
'Papst' oder 'Heiliger Vater' nannten, ebenso wie die Gottesmutter als 'Jungfrau 
Maria'. Letztere dominierte obendrein auf den bunt glänzenden Bildchen, die er 
sich gern schenken ließ, sie immer wieder ganz genau studierte und sorgfältig in 
seinen Hosentaschen verwahrte, von wo sie jedoch auf mysteriöse Weise meist 
schnell verschwanden. Seltsam, Mutter mochte sie überdies nie lange mit ihm 
betrachten  und  erklären,  wie  sonst  doch  so  geduldig,  wenn  er  etwas  wissen 
wollte! Arg weh tat es ihm und prägte sich deshalb fest in sein Kindergedächtnis 
ein, als er zufällig bemerkte, wie sie solch eine 'Jungfrau' gerade in den Ofen 
warf. Da gab es tränenreichen Protest, der erst verstummte, als Sanne ihm ein 
Apfelpfannküchle versprach. Ihm gefiel nämlich die schöne Frau auf den Bilderla 
mit ihren zum Himmel aufgeschlagenen großen Augen und dem meist leuchtend 
blauen Gewand, das ihr um Körper und Kopf wallte; manchmal trug sie auch eine 
goldene Krone wie das Dornröschen in seinem Märchenbuch. Oft
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Er durfte sogar mit der 'Doode' in die kleine katholische Kirche gehen, und was 
dort aufgebaut war, übertraf noch all die hochgespannten Erwartungen, welche 
Tanten,  Onkels  und  Bäschen  in  ihm  geweckt  hatten:  So  viele  Heilige  Maria 
Mutter Gottes, Heiliger Josef, Heilige drei Könige aus dem Morgenland, Gute 
Hirten, Kamele, Schäfchen, Ziegen, Kühe, Ochsen, Esel und vieles, vieles mehr, 
einfach wie im Märchen! 
Dies alles sei aber noch gar nichts gegenüber dem, was es diesbezüglich in der 
großen Kirche zu Santa Maria-Josefingen zu bestaunen gäbe! So erzählten ihm  
die Verwandten, die er allesamt sehr gern hatte und sie ihn ebenso; er solle dort 
nur eine der Tanten María, Anna, Martha, Anna-María, Martha-María, María-
Elisabeth oder María-Magdalena bitten; die würden gern mit ihm gehen und alles 
zeigen, am besten in der festlichen Christmette! Aber irgendwie kam es nie dazu. 
Vater hatte keine Zeit und Mutter waren die sechs Kilometer hin und zurück des 
Weges zu viel, auch mit dem Schlitten, wenn Schnee lag. Im Sommer radelte sie 
öfter mit ihm hinüber, aber da war keine Krippe aufgebaut, nicht einmal an den 
Weißen Sonntagen. Deshalb hat Martin dieses Weltwunder bis heute nicht zu 
Gesicht bekommen. 
Noch seltener kam er als Kind zur Verwandtschaft mütterlicherseits, es war ja 
dorthin auch mehr als doppelt so weit. Als kleines Biable hing er dann in einem 
Weidenkörbchen an Vaters Lenkstange; später kauerte das Sohnemännchen auf 
einem kleinen, gefederten Ledersitz vor dem legendären Rennsattel, die Füße auf 
Stützen  aus  stabilem  Draht,  alles  Papas  Eigenkonstruktion.  Zunächst  zog  es 
Klein-Martin nicht so sehr an dieses Ende seiner Welt, vermisste er doch in den 
dortigen Stuben all die wunderbaren Sachen, die bei den Verwandten zu Hause 
sein  Interesse  auf  sich  zogen.  Eindruck  machte  lediglich  eine  holzgeschnitzte 
Kuckucksuhr an der Wand und die große Porzellanfigur eines Elefanten auf der 
Kommode. Doch halt, es gab auch viele schöne Bilderbücher, in die er sich stets 
vertiefte, z.B. den Struwwelpeter sowie illustrierte Märchen, und jedes Mal durfte 
er  eins davon mitnehmen! 
Die auf den Sofas sitzenden, fein gekleideten, steifen Puppen waren nicht zum 
Anfassen; aber das störte ihn kaum, er spielte grundsätzlich nicht mit solchen, die 
ihn ewig bloß doof anlächelten, selbst wenn er ihnen eine lange Nase oder Esels-
ohren  machte;  sogar  als  er  einer  heimlich  mit  zwei Fingern  in  die  Augen 
schnalzte, lächelte sie immer noch. Nachdem er dann selbst radeln konnte, fuhr er 
mit Mutter, bald genauso gut allein oft und gern hin; denn dort gab es ebenfalls 
tolle Vettern und es war stets allerhand los, worauf noch einzugehen ist. 
Im  heimischen  Luthershausen  merkte  Martin  zunehmend,  dass  er  anders  war, 
aber doch der großen Mehrheit angehörte, obwohl außerhalb der religiösen Riten 
im  Allgemeinen  keine  Sonderung  der  Jugend  erfolgte.  Die  protestantische 
Leiterin  des  Kindergartens  liebte  er  ebenso  wie  deren  schlecht  katholische 
Helferin.  Ja,  das  hatte  also  noch  gefehlt!  Wo  es  ohnehin  so  wenige  'Recht-
gläubige' im Ort gab, hielt sich jemand mitsamt seiner ganzen Familie auch noch 
fern  von  den  Segnungen  der  'alleinseligmachenden'  Mutter  Ecclesia,  so  dass 
lediglich Eingeweihte wussten, wohin sie eigentlich gehörten. Nur im Buch des 
kleinen katholischen Kirchleins 'Santa María-Apollinara' und in den Gemeinde-
Registern stand noch 'römisch-katholisch getauft', aber durchgestrichen, weil sie 
keine Kirchensteuern mehr zahlten.  
Einmal im Jahr bedauerte Martin ganz besonders, nicht auch katholisch sein zu  
dürfen; das war jeweils am Weißen Sonntag. Irgendwelche Cousins oder Kusinen 
hatten  da  immer  ihren  großen  Tag,  bekamen  eine  wunde
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ersten dunklen Anzug mit kurzen Hosen, in denen sie aber wenigstens noch als 
ortsbekannte  Buben  erkennbar  waren;  die  Mädchen  dagegen  erschienen  in 
herrlichen  weißen  Kleidchen  und  Buchskränzchen  im  Haar;  wie  die  Prinzes-
sinnen in seinen Märchenbüchern sahen sie plötzlich aus! Manchmal musste er 
zweimal hinschauen, ob sie's auch wirklich waren. Dazu wurde stets ein großes 
Fest veranstaltet, an dem die ganze Verwandtschaft teilnahm, selbstverständlich 
auch  Martin  mit  seinen  Eltern.  Einmal  fragte  ihn  dabei  ein  väterlicher  Onkel 
etwas gedankenlos, aber gewiss ohne Arglist: "Na, Paul-Martin, wann bist du 
eigentlich  dran?",  fügte  jedoch  sofort  entschuldigend  hinzu,  als  er  dessen 
Verlegenheit bemerkte: "Ach so, du wirst ja später konfirmiert!" und half ihm, 
jetzt  wieder  geistesgegenwärtig,  über  die  etwas  peinliche  Situation  hinweg, 
indem er das Biable vorrechnen ließ, wie viel Jahre es noch dauern würde; und 
weil  dieser  schnell  zum  richtigen  Ergebnis  kam,  lobte  er  wohlwollend  und 
meinte: "Na, das wird aber ein Fest, da freu ich mich jetzt schon drauf!" Damit 
war auch bei Martin an diesem schönen Tag die Welt wieder einigermaßen in 
Ordnung. 
Ein andermal, als er nicht ohne Neid die lange Reihe der Geschenke bestaunte, 
die  solch  ein  Erstkommunikant  zu  erhalten  pflegte, sagte  eine  Tante,  die  als 
geburtsnahe  Lieblingsschwester  seines  Vaters  wohl  glaubte,  es  sich  leisten  zu 
können, unverblümt: "Sieschd mei Schätzele, dess bekäämschd älles au, wann d' 
kadoolisch wärsch!" Und zu einer dabei stehenden Tante: "Onser Paulche isch 
sou  a  liabs  Kärle,  wann'r  doch  blooß  wär  wia  mir!" Die  derart  ungewollt 
einbezogene Schwester erwiderte mit einem ängstlichen Seitenblick auf Martins 
in der Nähe sitzenden Eltern: "Hald dei Gosch!" Doch die derart zur Ordnung 
Gerufene hatte noch nicht genug und motzte weiter: "Wass wohr isch, derf mr 
saga!" Martin erschrak nicht wenig über diesen verbalen Ausbruch einer von ihm 
geliebten Tante, die ihn bei jeder Gelegenheit herzte, abküsste und mit schönen 
Heiligenbildchen erfreute. Ihre gleichaltrige Tochter Emma Maria war ihm eine 
sehr sympathische Kusine, die er ob ihres wilden Entschlusses bewunderte, später 
Nonne zu werden. Doch auch diese verletzte ihn einmal, als sie sich beim Spielen 
stritten,  mit  der  vernichtenden  Bemerkung:  "Ätsch, du  kosch  abr  nedd  ens 
Glooschdr gange!" - Sie heiratete dann einen Johannes aus Maria Schosseffenge, 
einen guten Soggewetzer (Fußballerer), scheint sich aber auch in der Ehe noch 
öfter an ihr Kindheitsgelübde erinnert zu haben, denn sie bekam, entgegen der 
päpstlich sanktionierten Familientradition, nur ein einzigs liabs Döchterle. 
Martin erzählte zu Hause von solchen Ereignissen instinktiv nichts, obwohl sie 
ihm  schwer  aufs  kindliche  Gemüt  schlugen  und  sich  tief  im  Gedächtnis  ver-
ankerten; früh begriff er, dass dies nur unnötigen Ärger bereiten würde; vielleicht 
hätte er dann zu manchen Verwandten nicht mehr hingehen dürfen, die er doch 
allesamt gern mochte, womöglich nicht einmal am Weißen Sonntag, wo es immer 
so feines Essen gab, selbst in der schlechten Zeit, und alle waren fröhlich, genau 
wie an jenem Palmsonntag, als er endlich konfirmiert wurde! 
Ja,  war  das  ein  Tag!  Selbstverständlich  kamen  auch die  Angehörigen  mütter-
licherseits aus acht Kilometer Entfernung in langer Kolonne angeradelt, soweit 
man über einen Drahtesel verfügte oder einen ausleihen konnte. Wie man die 
damals schon fast erblindete Großmutter herbeischaffte, weiß Martin nicht mehr; 
der dortige Ehne verstarb bereits früher. Weder vor- noch nachher sah man die 
große protestantische Kirche in Luthershausen derart zum Bersten voll! Als Mar-
tin  dann  in  der  strengen  Prüfung  am  hä
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sagen, die er vorzutragen hatte, von Martins 'verirrtem' Namensvetter formuliert 
waren, lastete man ihm nicht an.  
Mit Geschenken wurde er geradezu überhäuft; es schien, als ob sich insbesondere 
die Katholischen nicht lumpen lassen wollten. Eine Konfirmation 'durften' sie ja 
auch noch nie feiern; auf Wiederholungen legte man jedoch keinen Wert. Sie 
wollten doch lieber bei ihren 'Weißen Sonntagen' bleiben. Martin aber wünschte 
man ällemol göttlichen Segen, was zweifellos von Herzen kam! 
Bereits vorher und mehr noch danach entwickelte er sich zur Leseratte; was er 
auch in die Hände bekam, verschlang er, sogar die Bibel, die man seinen Eltern 
bei der kirchlichen Trauung geschenkt hatte. Dabei störte er sich an Dingen, die 
sonst scheinbar keinem Menschen jemals auffielen. Wer wuchs auch schon in 
einer solchen Zwickmühle der Religionen heran und mit einem derartigen Dick-
schädel, der so früh zu denken begann! So fiel ihm beispielsweise bereits in den 
ersten Evangelien folgendes auf: Das Jesuskind hatte offenbar eine ganze Reihe 
von Geschwistern. Die klein-, groß- und überformatigen Bilder bei den katholi-
schen Verwandten zeigten es aber immer nur allein auf dem Schoß seiner Mutter 
sitzen; im katholischen Kirchlein war das nicht anders und an den Figuren aus 
Gips, Holz oder Stein drinnen und draußen herum ebenso. Ja, weshalb wurde 
diese María stets bloß mit dem einen Söhnchen dargestellt und nie im Kreis all 
ihrer Kinder? Hatte sie die anderen etwa nicht lieb? Seine Luthershauser Oma 
war doch auch eine María, aber auf den alten Schwarz-Weiß-Fotos in allen guten 
Stuben der großen Familie umringt von ihren Zwölfen, über die sie offenbar nur 
Glück empfand. Nie bemerkte Martin, dass sie einen besonders liebte, sondern 
alle  nur  sehr  sehr  sehr,  wie  gleichermaßen  später  ihre  Enkel.  Auf  manchen 
Bildern sah man sie auch bei der  Arbeit an Großvaters Seite, sie war ja eine 
überaus fleißige Frau. Weshalb wird jene María nicht auch einmal als tüchtiges 
Eheweib eines Nazarether Zimmermanns gemalt, die ihm an der Hobelbank zur 
Hand ging? Musste Martin aus alledem nicht den Eindruck gewinnen, als habe sie 
nur ihren Erstgeborenen gehütet und fromm gen Himmel aufgeblickt? Gewiss, er 
hielt  zugute,  dass  dieses  Kind  etwas  ganz  Besonderes  und  Einmaliges  war; 
dennoch wird sie auch den anderen eine gute Mutter gewesen sein, und ohne 
diese zeichnet man seiner Überzeugung nach ein unvollkommenes, ja falsches 
Bild von ihr! 
Auch daran stieß sich der junge Kritikus: Wieso wird das Jesuskind Josefs wegen 
auch als 'Sohn Davids' gepriesen? Selbst in protestantischen Kirchenliedern ist es 
zu hören. Josef war doch bloß der Adoptivvater, sein richtiger Vater ist der liebe 
Gott! Insofern liegt überhaupt keine echte Verwandtschaft zwischen dem Kind 
und diesem David vor. Andere Heiligenbilder sorgten ebenfalls für Verwirrung in 
seinem Hirnkästchen: Bei Sankt Peter z.B. ging er davon aus,  dass dieser fromme 
Mann genau wie seine Nachfolger in Rom mit Frauen nichts am Hut hatte. Dann 
las er jedoch in der Heiligen Schrift, dass der Herr Jesus dessen Schwiegermutter 
auf wundersame Weise von einem bösen Fieber befreite. - Nanu, wenn St. Peter 
eine Schwiegermutter besaß, musste  er ja wohl oder übel verheiratet gewesen 
sein! Warum auch nicht? Der liebe Gott schuf den Menschen doch als Mann und 
Frau, unterstrich auch der Heiland während seines Aufenthaltes auf Erden. Martin 
fasste das 'und' als ein Gebot auf, beide verschiedengeschlechtlichen Wesen als 
untrennbare Einheit zu betrachten. Weshalb kam das aber auf den Heiligenbildern 
und -figuren nicht zum Ausdruck? Sankt Peters Schwiegermama muss eine gute 
Frau gewesen sein, denn eine Xanthi
-21- 
 
dann  den  Petrus  immer  ohne  seine  bessere  Hälfte  dar,  wenn  die  beiden  als 
Ehepaar unzertrennlich sein sollen? Wenn das nicht irreführend ist?! 
Niemand konnte Martin aus dem Dilemma helfen; die Katholischen nahmen ihn 
bei  solchen  grundsätzlichen  Kaplans-Fragen  nicht  ganz  ernst  und  seine  prote-
stantischen Freunde machten nur saublöde Witze darüber. Es deuchte ihm, als 
habe noch kein Mensch auf der Welt diese Stellen in der Bibel entdeckt, und er 
nahm sich vor, bei erstbester Gelegenheit den 'Heiligen Vater' in Rom persönlich 
darauf hinzuweisen; dann könnte dieser endlich auch eine Ehefrau suchen, wie es 
sich für einen ordentlichen Christenmenschen und Nachfolger Petri gehört! 
Überhaupt schien sich niemand in der Heiligen Schrift richtig auszukennen, auch 
die Katholischen nicht, obwohl sie doch jeden Sonntag geschlossen die Heilige 
Messe  besuchten  und  werktags  auch  noch,  allerdings immer  nur  mit  dem 
Gesangbuch. Martins Probleme machten sie sich nicht zu eigen; dafür hatte man 
Hochwürden und vor allem den Herrn Kaplan. Die sagten ihnen schon das 'Not-
wendige und Richtige' und wo es langzugehen hat, den Kindern kindgemäß, den 
Erwachsenen so wie sie es brauchten; unmittelbares Bibelstudium war nur etwas 
für große, gescheite Leute! Paul-Martin hätte eben katholisch werden sollen, dann 
würde er nicht vorwitzig altklug in der Heiligen Schrift herumsuchen und es gäbe 
solche Schwierigkeiten für ihn nicht! Aber genau so wie es der Herr Kaplan stets 
prophezeite, kam es, hoffentlich allen ein ewig abschreckendes Exempel! 
Die  Protestanten  waren  allerdings  auch  nicht  viel  belesener,  obwohl  sie  doch 
spätestens  seit  ihrer  Hochzeit  eine  funkelnagelneue  Bibel  in  der  Nachttisch-
schublade  liegen  hatten!  Darin  gesucht  haben,  wie  es  der  Herr  Jesu  dringend 
empfahl,  dürfte  nur  selten  jemand.  Dennoch  fühlte  man  sich  im  Großen  und 
Ganzen informiert; schließlich ging man zwei volle Jahre in den Präparanden- 
und Konfirmandenunterricht; darüber hinaus las der Herr Pfarrer jeden Sonntag 
im  Gottesdienst  einen  Abschnitt  vor  und  erklärte  ihn;  aber  dazu  kamen  nur 
wenige  regelmäßig  und  davon  noch  welche  zur  Erholung  gemäß  der  alten 
Erkenntnis,  dass  Kirchenschlaf  der  gesündeste  sei, auf  Schwäbisch  heißt's  'a 
Niggerle macha', was selbstverständlich genauso für den alten Papst gilt, der ja 
auch nur ein Mensch ist wie jeder andere, und schon in seiner eigenen Messe 
sanft  entschlummerte!  Böse  Buben  hielten  das  natürlich  sofort  meister-
fotografisch fest. In Luthershausens ehrwürdiger Dorfkirche lauerten Martin und 
Konsorten dagegen nicht boshafterweise mit einer Kamera; sie bereiteten lieber 
auf ihrer Empore Papierkügelchen vor und schlossen Wetten darüber ab, wann 
welcher  'Hemmelsdragonr',  offiziell  Presbyter  genannt,  mit  dem  Schnarchen 
beginnen  würde;  dabei  ging  es  nur  um  den  Zeitpunkt,  nicht  um  das 
grundsätzliche  Phänomen,  denn    darüber    herrschte   kein    Zweifel.  Es    kam  
darauf  an, Kopftreffer  zu erzielen, denn  alle  anderen  blieben meist wirkungs-
los.  Es  war  halt  zu    schön,  wenn    der  Getroffene  mit  einem  letzten  heftigen 
Röhren erschrocken hochfuhr, sich zunächst über die sonntäglich glänzend frisch 
gebadete  Glatze  wischte,  auch  'Muggeflugplatz'  genannt,  in  der  Annahme,  es 
handle sich tatsächlich um eine arme Kirchenfliege, allerdings beim Anblick des 
Papierkügelchens  auf  dem  Schoß  schnell  begriff.  Manche  lächelten  daraufhin 
verständnisvoll vor sich hin und dachten vermutlich: Die Fäger sind genau so wie 
wir  früher!  Manche  drohten  dagegen  den  'unschuldigen', plötzlich  fromm  gen 
Himmel schauenden Engelsgesichtern in der Höh mit dem Finger und dem 'bösen 
Blick'. Martin zeigte dann schon mal, unter ernsthaft-best
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etc. Er trug seine allwöchentlich fleißig ausgearbeitete Predigt eben den wenigen 
vor, die ihm zuhörten, zumeist älteren Frauen, von denen man wusste, dass sie 
teilweise  schon  schwerhörig  waren.  Für  diese  wäre  wohl  auch  sonst  etwas 
Einfacheres richtiger gewesen; aber der Herr Pfarrer war ein gebildeter Mann und 
verdiente eigentlich ein ebensolches Publikum; jedenfalls predigte er stets so, als 
hätte er es. Aber Gott Vater kann zweifellos selbst mit klugen Worten schlichten 
Gemütern das sagen lassen, was sie sich vom Kirchgang erhoffen; dies spürte 
Martin und wollte im Grunde ja gerne zuhören, hätte er nicht älleweil so viele 
Dummheiten  im  Kopf  gehabt,  genau  wie  seine  Freunde!  Aber  der  Seelsorger 
ertrug auch dies ohne sichtbare Verärgerung. 
Einmal  platzte  ihm  schließlich  doch  der  hohe  Kragen  am  Lutherrock,  und  er 
drohte  sogar  Martins  Mutter,  ihren  ungeratenen  Sohn  nicht  zu  konfirmieren, 
womit  er  diesen  saumäßig  erschreckte;  denn  das  wäre  schlimmer  als  in  der 
Volksschule sitzen geblieben! Es war allerdings nicht wegen der Beschießerei 
altehrwürdiger Glatzen beim Gottesdienst, sondern außerhalb. Dabei hatte er das 
Türchen zum Pfarrgarten am Wiesenbach gar nicht in diesem versenken wollen. 
Er hob es nur deshalb aus den Angeln, um den anderen, frei hoch über den Kopf 
stemmend, zu zeigen, wie leicht das geht und dass man es, falls jemand ruchlos 
genug wäre, als Floß benutzen könnte. Doch just im selben Augenblick öffnete 
sich oben am Pfarrhaus knarrend eine Tür und die Seelsorgerfrau kam, nichts 
Böses ahnend, mit der leeren Gießkanne heraus, wohl um unten am Bach gutes 
Wasser kostenfrei zu schöpfen. Die anderen rannten sofort auf und davon. Martin 
begriff blitzschnell, dass es zum Wiedereinhängen des Gatters zu spät war; nur 
deshalb, also eindeutig notgedrungen, ließ er es zu den munteren Frosch-Mollen-
köpfen  hinunterplumpsen,  die  erschrocken  auseinander  stoben.  Dann  machte 
auch er sich im Sichtschutz der pastoralen Stangenbohnen schleunigst aus dem 
Staub. Offenbar hatte sie ihn aber schon erkannt, als er noch auf der schmalen 
Brücke stehend, das Türle übermütig hochschwang, sodann jedoch urplötzlich 
fallen ließ. Und diese angeblich so kinderfreundliche Dame verpetzte ihn glatt; 
jedenfalls behauptete  der  Geistliche  auf  Rückfrage von  Martins  Mutter,  ob  er 
überhaupt gesehen habe, dass es ihr Sprössling gewesen wäre: "Ich nicht, aber 
jemand!" Er ließ sich auch nicht von Sannes Einwand beirren, dass man ihrem 
Buben  gar  vieles  anhänge,  was  nicht  immer  zutreffe.  Dieser  war  ja  noch  am 
selbigen Tag in der Abenddämmerung an den Tatort zurückgeschlichen, um die 
Sache wieder in Ordnung zu bringen, aber da hatte der Seelsorger schon alles 
eigenhändig erledigt, wohl mit Recht schimpfend, hoffentlich nicht gar gottlos 
fluchend!  Denn  das  Lattenschiff  verfing  sich  auf  seiner  kurzen,  steuerlosen 
Jungfernfahrt augenscheinlich schnell im dichten Ufergebüsch. Die Spuren der 
fraglos sehr schmerz- und ärgerlichen Bergungsaktion waren noch lange deutlich 
in den hohen Brennnesseln zu sehen. Hätte der Herr Pfarrer es doch nur ihn holen 
lassen! Er wusste, wie man so etwas mit dem leeren Kaninchenfuttersck über 
einer  Hand  schadlos  unterkriecht,  oft  genug  geübt  beim  Räuber-  und 
Gendarmspielen.  Aber  vielleicht  lernt  man  das  im  Theologiestudium  auch! 
Jedenfalls hing die 'Enge Pforte' nun wieder an ihrem Platz, und die Pfarrersleute 
konnten  nach  Belieben  ein-  und  ausgehen;  allerdings  war  sie  seitdem  ohne 
jegliches Gottvertrauen durch ein starkes Hängeschloss abgesichert, was Martin 
mit  Erleichterung  registrierte;  denn  hätte  einer  seiner  Kumpane  die  Sache 
nachgemacht, wäre zweifellos einmal mehr behauptet worden, er s
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albernen Kindergeburtstag des braven Pfarrerstöchterle Doris 'vergaß' er geflis-
sentlich; sollte sie doch mit ihrer verräterischen Mutter feiern! 
Zum Glück hatte er beim Herrn Pfarrer auch einen Stein im Brett, so dass es im 
Hinblick auf die Konfirmation nicht zum Äußersten kam und zwar wegen einer 
höchst  seltsamen  Geschichte;  doch  diese  muss  der  Wahrheit  zuliebe  ebenfalls 
erwähnt werden, selbst  wenn sie noch so unglaublich klingt: Emilie, eine der 
bereits erwähnten alten Frauen, die regelmäßig zum Gottesdienst kamen, saß stets 
auf  demselben  Platz,  wo  auch  ihr  unübersehbares,  scharlachrot  umhäkeltes 
Kissen lag. Doch eines Tages blieb ihr Sitz leer! Sie wohnte etwas weiter die 
Straße hinauf, und wenn Martin zur Kirche ging, führte ihn sein Weg an dem 
Bauernhof vorbei. Die von einem harten Leben gebeugte Alt-Bäuerin saß dort 
neuerdings auf  einem Stuhl vor dem sonntags geschlossenen, breiten Tor und 
jammerte, dass sie ja so gern zum Gottesdienst mitkäme, aber die Beine wollten 
nicht mehr. Da bot ihr das Bürschle doch tatsächlich an, sie im 'Leidrewägele' 
hinzuziehen, und die fromme Emilie stimmte freudig zu.  
Seitdem fand dieser wunderliche Transport Sonntag für Sonntag statt. Vorn hätte 
sie zwar besser und sicherer gesessen, ihre Last richtiger gelagert, aber da war die 
Zugdeichsel im Weg, und sie brachte den Fuß selbst mit Martins Hilfe nicht über 
die Stange, also musste sie hinten sitzen, den Rücken ihm zugewandt, die Beine 
herunter  baumelnd.  Beim  Ziehen  war  es  wichtig,  gleichzeitig  nach  unten  zu 
drücken;  denn  hätte  er  normal  schräg  nach  oben  gezogen,  wie  ihm  boshafte 
Zeitgenossen manchmal augenzwinkernd zuraunten, der stark rücklastige Wagen 
wäre  vorn  in  die  Höhe  gegangen,  die  alte  Dame  unweigerlich  hinten  heraus-
gerutscht und höchst unsanft auf's Straßenpflaster 'geblodzd'. Dies kam jedoch 
niemals vor,  so einfach und erheiternd es für Zuschauer auch gewesen wäre. Ihm 
selbst war das beim Spielen einmal passiert, deshalb wusste er nur zu gut, wie 
weh so was am Steißbein tut; vielleicht fürchtete er aber auch um die Mark, die 
ihm Emilie ohne vorherige Absprache für jede Fuhre in die Hand drückte, wenn 
er sie wieder glücklich zurückkutschiert und unbeschadet abgeladen hatte. Das 
sonderbare Gefährt war für die  Dorfbewohner  eine echte Attraktion und auch 
ohne  'Unfälle'  lustig  genug  anzusehen,  besonders  bei  Regen,  wenn  sie  ihren 
großen, schwarzen Schirm über sich hielt, eingewickelt in das selbstgestrickte 
'Säälewärmerle'.  Die  Leute  blieben  kopfschüttelnd  stehen  und  schauten  ihnen 
amüsiert  nach;  andere  öffneten beim  Herannahen  des am  Sonntag  ungewöhn-
lichen Gepolters das Fenster, stemmten sich breit hinein und ergötzten sich. Alle 
kannten die beiden und riefen ihnen Scherzworte zu: "Sou schee möchd i's au 
mal habe". Emilie antwortete stets gut gelaunt: "Sou schee isch dess au widd'r 
ned; bei deem Geholbere kommd oinem ja s'Weinachdsgebägg vo anno zwelfe-
druisisch wiedr hoch!" Und ihn, das Zugpferdle, spornte man an: "Sau a bissle, 
s'leid  scho  z'samme!"  ('Beeil  dich  ein  bisschen,  die  Glocken  läuten  schon 
zusammen'), d.h der Beginn des Gottesdienstes stand unmittelbar bevor.  
Die  anderen  Kirchgänger  hielten  Abstand,  liefen  entweder  weiter  vorne  oder 
hinterher,  zu dem lustigen Gespann hinzugesellen wollte sich niemand. Kurz vor 
zehn waren eigentlich immer recht viele Leute unterwegs, so dass Uneingeweihte 
glauben konnten, das ganze Dorf wäre schon zum Christentum bekehrt! Dies kam 
daher, dass die wenigen Katholiken fast alle den Gottesdienst besuchten und von 
den vielen Protestanten annähernd die gleiche Anzahl; sie hatten zwar bis kurz 
vor dem Ziel denselben Weg, schritten aber dabei stets ge
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der Katholiken glänzend-schwarz; die mit leeren Händen auf dem Rücken gingen 
in der Regel bereits zum Frühschoppen, aber stets nur Männer. 
Normalerweise  diente  der  Handleiterwagen  für  kleine  Besorgungen,  z.B.  dem 
Transport der schweren Milchkannen zur Sammelstelle sowie am Vorabend eines 
Schlachtfestes zum Abholen der großen Zinkmulde des Adventsmetzgers, dort 
wo  man  sie  an  diesem  Tag  brauchte,  um  darin  die  Sau  zu  überbrühen,  zu 
enthaaren  und  zu  schrubben.  An  Kirbe  wurde  damit  der  Krügerbauer  zu 
nächtlicher Stunde von seiner treuen Frau Anne, Emilies Tochter, nach Hause 
gekarrt.  Früher  hätten  ihn  angeblich  Mitglieder  des  örtlichen  Turnvereins  des 
öfteren auf einer harten Holzleiter heimgetragen; das war ihr wohl zu peinlich, 
deswegen holte sie ihn dann lieber selbst ab; vorher schickte sie gewöhnlich ihren 
Sohn Georg in Martins Alter mit irgend einer erfundenen Dringlichkeit in den 
'Ochsen':  "Vaddr,  du  sollschd  hoimkomme,  d'  Brau  well  kalbe."    Der  Bauer 
pflegte dann angeheitert zu antworten: "Willsch du Hugoles midd me do?" Aber 
der Bub ließ sich nicht so leicht abwimmeln: "Doch, du sollschd komme, s'esch 
wohr!" - "Kannsch du nedd endlich dei Gosch halde, Schorschele?" Aber dieser 
insistierte  hartnäckig:  "Komm  etzt,  d'Mamma  schempft."  -  "Allee  hopp,  do 
brobiern mir's mol, abr dess saach isch dir: Wann i no gänga ka, dann bleibed mir 
no  e  bissle;  wann  i  abr  ned  meh  gänga  ka,  dann  ganged  mir  hoim!"  Doch 
solcherlei  Geschichten  erzählt  man  sich  viele  in  Luthershausen  und  Martin 
glaubte schon lange nicht mehr alles, was er nicht selbst gesehen oder gehört 
hatte. Eigentlich schätzte er diesen Bauern, ein enger Freund seines Vaters,  der 
offensichtlich auch ihn gut leiden konnte;  er war außergewöhnlich tüchtig und 
anderen  immer  eine  Nasenlänge  voraus  bei  Saat  und  Ernte.  Im  Turnverein 
kümmerte er sich um die Jugend, machte allen noch etwas vor, besonders am 
Seitpferd, aber auch mit Keulen und Stäben wie einst bei Turnvater Jahn auf der 
Hasenheide. Überhaupt war er ein großer Verehrer dieses Mannes, dessen Bild 
die Wand der kleinen Sporthalle zierte; beim Einmarsch zu einer Übungsstunde 
ließ der Krügerle regelmäßig das Lied singen: 'Turner auf zum Streite, tretet in 
die Bahn!' Dass Martin sonntags seine Schwiegermutter zur Kirche fuhr, missfiel 
ihm allerdings, denn er fragte ihn einmal, ob er spinne und fügte hinzu: "Wann 
die ned meh alloin gehe ko, soll se d'hoim bleiba; die esch ofd gnug en d' Kirch 
gwä ond hod scho längschd ehr Plätzle em Hemmel sichr!" Martin wurde darob 
sehr verlegen, ließ sich  aber keineswegs von seinem Fahrdienst abhalten. Der 
Bauer  sank  jedoch  insgeheim  in  seiner  Achtung,  bis er  an  einem  Sonntag-
nachmittag beobachtete, wie dieser dem vorbeikommenden  Eisliesele eine große 
Portion abkaufte und der dann im sonnigen Hof sitzenden gebrechlichen Emilie 
brachte. Da merkte er, wie sehr Menschen zwei Seiten haben können und verzieh 
ihm. 
Die sonntägliche Volksbelustigung mit dem Leiterwägele erledigte sich erst, als 
Martin ins ferne Internat aufgenommen wurde und nur selten nach Hause kam. 
Heute hat man für solche Fälle geeignete Rollstühle, und Helfer, die sie schieben, 
machen sich keineswegs lächerlich. Sie werden zwar immer noch unterbezahlt, 
erfreuen sich  aber doch allgemeiner Wertschätzung. Martin dagegen war dem 
Spott seiner Zeitgenossen ausgesetzt, zog den  Karren verlegen mit gesenktem 
Blick, oft schamrot und spürend,  was Spießrutenlaufen heißt, aber  er  zog ihn 
tapfer, und den Herrn Pfarrer freute es. 
Nicht immer erlebte er die große protestantische Kirche gähnend, besser gesagt 
schnarchend leer, so dass die Kollekte nicht einmal für die Heizung reichte; außer

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te er wissen, ob sich hinter gebräuchlichen Redensarten etwas Wahres verbirgt, 
z.B. wenn man von einem sagte: 'Deer goht bloß älle Karfreidaag en d' Kirch!' Es 
traf tatsächlich vielfach zu; eine ganze Reihe bekennender Protestanten verhielt 
sich nämlich so, überzeugt, dass dieses absolute Minimum ausreichte, aber auch 
sein  musste,  sonst  gehörte  man  nicht  dazu!  Das  jedoch  wollten  alle: 
Protestantisch  getauft,  konfirmiert,  getraut,  beerdigt  und  im  protestantischen 
Himmel aufgenommen sein. Auch an Heilig Abend füllte sich das Gotteshaus, 
vor allem mit Müttern, Omas und Tanten, weil dann die Kinder gewöhnlich ein 
Krippenspiel aufführten; auch Martin wirkte verschiedentlich mit als Josef oder 
Hirte oder als 'Heiliger Dreikönig'. 
An  Palmsonntag  kam  stets,  wie  bei  Martin,  die  gesamte  Verwandtschaft  der 
jeweiligen Konfirmanden sowie zahlreiche Neugierige aller Konfessionen, sogar 
die  Atheisten,  nur  um  mitzuerleben,  wie  oft  und  an welchen  Bibel-  oder 
Katechismus-Stellen dieser oder jener bei der Prüfung abgefragt,  mehr noch, wo 
er eventuell hängen blieb oder gar Pontius mit Pilatus verwechseln würde, was 
ihm dann später sein Leben lang am Stammtisch genüsslich immer mal wieder 
unter schallendem Gelächter in Erinnerung gerufen wird.  
Rudi Meierling aus Martins Jahrgang gehörte zu einer Familie, die am Rand des 
örtlichen  Sozialspektrums  in  einem  ehemaligen  Judenhaus  lebte.  Er  war  der 
älteste von sechs Geschwistern, und es war allgemein bekannt, dass sie 'Mein und 
Dein' nicht so recht auseinander hielten, insbesondere in der schlechten Nach-
kriegszeit.  Ihm prophezeite man schon lange, er würde bestimmt beim achten 
Gebot  drankommen!  Als  ihn  der  Herr  Pfarrer  dann  aber  nach  dem  höchsten 
fragte,  antwortete  er  prompt  und  mit  fester  Stimme:  "Du  sollschd  nedd 
schdeehle!!" Alles lachte natürlich, nicht etwa weil man die Reihenfolge der zehn 
Gebote gut kannte, sondern weil seine Antwort so überzeugt und wie aus der 
Pistole  geschossen  kam;  insgeheim  aber  hatte  er  am Rücken  deutlich  ein 
Hexenkreuz  gemacht!  Dann  blickte  er  triumphierend  zu  seinem  in  der  Bank 
dahinter  sitzenden  Vater,  der  ihm  anerkennend  zunickte.  Jedermann  in  der 
Gemeinde wusste, dass dieser ihm vornehmlich das elfte Gebot einbläute, in der 
Fassung: 'Du sollschd nix liege lasse, dess wo du middnehme  kahschd!  Aabr 
loss de bloß nedd vrwische!!'  
Von  ihm,  dem  Obergauner,  erzählte  man  sich  im  Dorf unter  vielen  anderen 
folgende Geschichte: Entgegen seiner eigenen Parole hatte er sich beim Stehlen 
eines  Hahnes  in  der  Nachbarschaft  beobachten  lassen  und  wurde  angezeigt. 
Während  der  Gerichtsverhandlung  rief  er  bei  der  Zeugenvernehmung  "bleedr 
Hond" dazwischen, schaute dabei aber mit Unschuldsmiene zur Decke. Als der 
Richter wissen wollte, wen er damit meine, antwortete er: "Onzer Kaddz!" Später 
sagte er angeblich mit erhobener Hand: "Herr Richtr, i schweer, dass i dän Hahn 
et gschdohle hau!" Als dieser ihm unter der Beweislast seinen Meineid vorhielt, 
brachte  Meierling  die  Rechtsgelehrten  trotz  ihrer  todernsten  Tracht  mit  dem 
betagten Kalauer zum Lachen. "I hau doch d' Hahn uff'm Kirchturm gmoind!"  
Natürlich war ein solches Anekdötchen nicht nur für den örtlichen Klatsch ein ge-
fundenes  Fressen;  selbstverständlich  stand  es  auch schwarz  auf  weiß  in  der 
nächsten Kirbezeitung und wurde so in einschlägigen Archiven der Nachwelt er-
halten. Nachdem ihm Exklassenkamerad  Rudi als Karamellenwerfer vom Fest-
zugswagen herab stolz zurief : "Mir schdende widdr drenne", las Martin die Story 
druckfrisch  unter  der  Rubrik  'Herausragende  Ereignisse  des  Jahres',  wusste 
zunächst jedoch nicht, was daran nun tatsächlich der Wahrheit entsprach. Aber 
bald darauf beobach
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ohne jeden Zweifel von ihrem gestohlenen rebhuhnfarbigen Italiener. Dann fügte 
sie  noch  gehässig  hinzu:  "Wann  dir  sei  Gnoche  doch blooß  em  Halz 
schdaubliewe  wäred,  du  Daagdiab!",  worauf  dieser  in  aller  Gemütsruhe 
erwiderte:  "Hanoi,  dia  nedd,  abr  sei  Floisch  oms  Häärle!  Dara  hod  m'r 
gschmeggd, wia schlächd du fuadara duasch!" Die nun obendrein noch in ihrer 
Ehre getroffene Bäuerin keifte zurück: "Oin guadr Hahn wird äba oms vregge 
nedd fett, wia du dirrer Bogg au. Aabr ois sag i dir, komm du nomol uff onzer 
Giadle, do kosch wass vrleba; d'r Eigen waard schou med'm Ochseziemer ond 
schlagd dir dei Ranza sou voll, dass dir d'Abbedid uff  annerschder Leid eara 
Geggl vrgoht, du drhärgeloffener Weidag, du nixnuddzgr!"  Doch der so übel Be-
schimpfte trollte sich schließlich mit dem 'Schwäbischen Gruß' und der versöhnli-
chen  Bitte:  "Etzt  do  nedd  sou  a  Gschiess  macha,  dua  Glufekätter!"  (=Steck-
nadelkäthe = Kleinigkeitskrämerin)

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Ein katholischer Protestant

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