Frauenschicksale

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Frauenschicksale 
 
 
Svetlana K. aus Russland erzählt 
 
Mein Vater starb, als ich zwei Jahre alt war. Ich bin mit meinen beiden Brüdern bei meiner 
Mutter und meiner Großmutter aufgewachsen. Meine Mutter arbeitete als Musiklehrerin. Es 
war eine gute Zeit für ƵŶƐĂůůĞ͘ŝƐĚĞƌdƐĐŚĞƚƐĐŚĞŶŝĞŶŬƌŝĞŐŬĂŵ͙ 
Mein ältester Bruder fiel in diesem Krieg. Er war gerade neunzehn Jahre alt geworden. Sein 
Tod zerstörte meine Mutter. Sie starrte tagelang nur vor sich hin und gab schließlich ihre 
Arbeit auf. Von da an lebten wir von der Rente meiner Großmutter und vom Kindergeld für 
meinen  jüngeren  Bruder.  Wir  bewohnten  zu  viert  eine  kleine  Zweizimmerwohnung  am 
Stadtrand von Moskau. Oft wussten wir nicht, was wir kochen sollten. Meine Großmutter 
kannte  viele  Tricks,  so  verdünnte sie  zum  Beispiel  die  Gemüsesuppe  immer  stärker  mit 
Wasser,  damit  wir  noch  etwas  Warmes  zu  essen  hatten.  Sie  wusste,  welche  wild 
wachsenden Pflanzen wir zum Kochen nutzen konnten und all solcher Sachen. Für uns Kinder 
war es eine schwere Zeit. Wir hätten so gerne mal neue Kleidung gehabt oder ein neues 
Spielzeug, aber dafür war kein Geld da. 
In der Schule war ich gut und das Lernen machte mir großen Spaß. Ich schloss mit der 
Hochschulreife ab. Aber die Ausbildung in Wirtschaft und Buchhaltung habe ich nach sechs 
Monaten abgebrochen. Diese Fachrichtung lag mir einfach nicht. Ich habe mich überhaupt 
nicht wohl gefühlt. In dieser Zeit ʹ ich war gerade 18 ʹ habe ich im Schwimmbad Boris 
kennengelernt. Er war auch Russe und wir verstanden uns auf Anhieb gut. Er war sehr offen 
und nett zu mir. Wir trafen uns hin und wieder zum Schwimmen oder Tanzen. Als wir uns 
gerade etwa drei Monate kannten, bot er an, mir in Deutschland einen Job als Haushaltshilfe 
zu  besorgen.  Er  kam  oft  auf Dienstreisen  dorthin,  kannte  viele  Leute  und  hatte  gute 
Kontakte. Für mich war das in dieser unklaren Phase ohne Arbeit und ohne Ausbildungsplatz 
eine gute Perspektive. Also begleitete ich ihn auf seiner nächsten Dienstreise. Wir reisten 
über Polen nach Deutschland. 
Ich hatte großes Vertrauen zu ihm. Daher war ich überhaupt nicht auf das gefasst, was mich 
dann in Deutschland erwartete. 
In Frankfurt wurden wir von einer Frau und zwei Männer abgeholt. Gemeinsam verbrachten 
wir zwei Tage bei ihnen in der Wohnung. Boris sagte dann, er müsse weg, er hätte ein 
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bleiben. Er käme mich in den nächsten Tagen holen. Nach fünf Tagen war er immer noch 
nicht zurück. Die Frau brachte mich in eine andere Stadt in ein Lokal. Ich dachte, ich könnte 
dort  als  Putzfrau  arbeiten.  Zwei  Männer  nahmen  mich  in  Empfang.  Nachdem  die  Frau 
gegangen war, sagten sie, sie hätten für mich bezahlt und ich sollte für sie als Prostituierte 
arbeiten. Ich war entsetzt und sagte, ich würde das nicht tun. Da sperrten sie mich in einen 
Kühlraum im Keller. Es war kalt, dunkel und eng dort drin ʹ ich hatte das Gefühl zu ersticken. 
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macht man da? Was hättest du gemacht? 
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nachts bis sieben Uhr morgens blieben sie. Für mich war das die schlimmste Nacht meines 
Lebens. Ich hatte wohl schon Sex gehabt, aber nicht mit fremden Männern oder sogar mit 
zwei Männern gleichzeitig und schon gar nicht so, dass mir ein Mann absichtlich wehtat und 
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mich quälte. Das taten die beiden aber und ich hatte das Gefühl, wenn ich weinte, machte es 
ihnen umso mehr Spaß. 
In  der  nächster  Zeit  waren  es  täglich  sechs  bis  acht  Freier,  die  ich  bedienen  musste. 
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die beiden Männer, denen das Lokal gehörte, kamen hin und wieder auch zu mir, wenn ich 
gerade  keinen  Kunden  hatte.  Sie  machten  mir  klar,  dass  sie  sich  als  meine  Eigentümer 
fühlten. 
Einmal war ich in der nächsten Stadt zum Einkaufen und kam später, als sie erwartet hatten. 
Sie sperrten mich zur Strafe wieder in diesen Kühlraum. Ich dachte, ich käme da nicht mehr 
lebend heraus. 
Nach  zwei  Monaten  Aufenthalt  wurde  festgestellt,  dass  ich  schwanger  war.  Ich  musste 
trotzdem weiter arbeiten. Als man mir die Schwangerschaft deutlich ansah, gab mir der eine 
Mann meinen Pass und ich wurde aus dem Haus gejagt. Ein Kunde, der häufig zu mir kam 
und mit der Zeit so wie ein Freund für mich geworden war, besorgte mir ein Hotelzimmer. 
Abtreiben  wollte  ich  nicht,  aber  ich  hatte  keine  Möglichkeit,  das  Kind  zu  ernähren. 
Außerdem waren meine Gefühle für dieses Kind schwierig und sehr widersprüchlich. Sein 
Vater musste ein Kunde oder einer meiner Peiniger sein. Wer es war, wusste ich nicht. Nach 
einer langen Bedenkzeit und vielen Beratungsgesprächen habe ich mich entschlossen, das 
Kind zur Adoption freizugeben. 
Heute bin ich wieder schwanger und freue mich auf das Kind. Der Vater ist mein türkischer 
Freund. Wir suchen gerade zusammen eine Wohnung. Ich mache einen Deutschkurs, will die 
Schule besuchen und in Deutschland bleiben. 
Aber es war ein langer Weg bis hierhin. Nachdem ich das Bordell verlassen hatte, gab mir 
mein  Freund  die  Adresse  der  Beratungsstelle  Solwodi.  Ohne  die  Mitarbeiterin  dieser 
Beratungsstelle,  die  mich  psychisch  aufgebaute  und  mir  half,  meine  Erlebnisse 
aufzuarbeiten, hätte ich die Zeit bis zur Geburt meines Kindes nicht überstanden. Es war so 
viel zu erledigen, und ich wusste ja überhaupt nicht, wo und wie ich meine Probleme klären 
konnte. Wo sollte ich wohnen? Woher sollte ich das Geld zum Leben nehmen? 
Zunächst brachte mich meine Beraterin in ein Frauenhaus von Solwodi unter. Dort konnte 
ich zur Ruhe kommen und bis zur Geburt meines Kindes bleiben. Sie half mir auch durch die 
schwere  Zeit  des  Prozesses.  Ich  hatte  mich  bereit  erklärt,  als  Zeugin  gegen  die 
Bordellbesitzer auszusagen. Aber kurz vor der Verhandlung kamen die Erlebnisse und die 
Ängste  wieder  hoch.  Keine  Nacht  konnte  ich  richtig  schlafen.  Ich  wollte  nicht  in  den 
Gerichtssaal, wollte die Männer nie mehr sehen! Schließlich habe ich es doch geschafft, 
meine Aussage gegen die beiden zu machen und ich bin stolz drauf. 
Als Zeugin hatte ich bis zum Prozessende eine Duldung und konnte in Deutschland bleiben. 
Solwodi half mir, dass die Aufenthaltsbewilligung für die Dauer des Schulbesuches verlängert 
wurde. Mein Freund und ich haben vor zu heiraten, wenn unser Kind da ist. 
 
  
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Margerita L. aus Bulgarien erzählt 
 
Nachdem mein  Vater  sie  verlassen  hatte,  hat  meine  Mutter  mich  und  meine  ältere 
Schwester alleine aufgezogen. Es war wohl zu viel für sie, denn sie war ständig überarbeitet, 
schlecht gelaunt und sehr streng zu uns. Wenn ich an meine Kindheit denke, habe ich nicht 
viele schöne Erinnerungen. Seit ich fünf Jahre alt war, habe ich Hochleistungssport im Verein 
gemacht ʹ Gymnastik. Am Anfang hat das Spaß gemacht, die Wettkämpfe, die Preise und so. 
Aber  als  ich  älter  wurde,  bekam  ich  körperliche  Probleme,  denn  das  Training  war  sehr 
anstrengend. Meine Mutter und mein Trainer zwangen mich, weiterzumachen. Es gab häufig 
Schläge, wenn ich nicht genug trainierte oder meine Leistungen nicht so waren, wie die 
beiden  erwarteten.  In der  Schule  kam  ich  nur schlecht  mit,  weil  ich nachmittags  immer 
trainieren musste. Ich hatte auch keine richtigen Freunde, denn ich hatte ja nie genug Zeit 
für solche Kontakte. 
Meine ältere Schwester hat früh geheiratet und mit ihrem Mann bei uns gewohnt. Als ich 14 
Jahre alt war, hat mich mein Schwager vergewaltigt. Er hat vor unserem Haus gewartet, bis 
ich abends vom Training kam. Bis dahin kam ich gut mit ihm klar. Er war ein bisschen wie ein 
Vater und ein bisschen wie ein großer Bruder zu mir. Mit ihm konnte ich auch darüber reden, 
dass der Sport inzwischen nur noch Qual für mich war. Ich hätte nie gedacht, dass er mir so 
etwas antut. Er war so eklig an dem Abend und es hat mir wehgetan. 
Die Schule habe ich kurz danach abgebrochen und für meinen Schwager auf der Straße 
Zigaretten  verkauft.  Einen  kleinen  Teil  des  Geldes  durfte  ich  behalten.  Wenn  meine 
Schwester nicht da war, ist er zu mir gekommen und wollte mit mir schlafen. Ich habe aus 
Angst  nichts  gesagt.  Irgendwie  war  ich  abhängig  von  ihm ʹ unsere  ganze  Familie  war 
abhängig von ihm. 
Mit 16 kam ich zum ersten Mal nach Deutschland. Mein Schwager hat mich mit dem Auto 
nach Deutschland gebracht und bei einem Bordellbesitzer abgegeben, den er kannte. Er hat 
gesagt,  so  kann  man  mehr  verdienen  als  mit  Zigaretten.  Ich  habe  mich  nicht  mal  groß 
gewehrt. Mir war irgendwie alles egal in dieser Zeit, so schlecht ging es mir. 
Ich war in verschiedenen Städten im Ruhrgebiet. Zweimal bin ich nach Razzien wieder nach 
Bulgarien abgeschoben worden. Nach ein paar Wochen zu Hause hat mein Schwager mich 
immer wieder nach Deutschland gebracht. Er hatte dort viele Bekannte, denn ich kam immer 
in neue Bordelle zu neuen Zuhältern. Es war ein ewiger Kreislauf aus Abgeschoben- und 
Eingeschleust-Werden.  Meiner  Mutter  und  meiner  Schwester  erzählte  er,  er  hätte  gute 
Arbeit für mich in Deutschland gefunden. Ich hatte nie den Mut, ihnen die Wahrheit zu 
sagen. Und mein Verhältnis zu beiden war auch nicht so gut, dass ich mich ihnen anvertraut 
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Ich konnte frei wohnen und essen in den Bordellen. Für Kosmetik und ab und zu neue Kleider 
gab es eine Art Taschengeld. Der Verdienst ist mir vom jeweiligen Zuhälter aber komplett 
abgenommen worden. Er und mein Schwager haben ihn wohl unter sich geteilt. 
Wie es kam, dass ich aus der Prostitution ausgestiegen bin? Ein Barbesucher kam häufiger zu 
mir. Er hat mich gefragt, warum ich das mache, ob ich das machen will. Ich habe ihm nach 
und nach meine ganze Lebensgeschichte erzählt. Mit der Zeit wurden wir richtige Freunde 
und ich bin raus aus dem Bordell zu ihm. Wir waren in diesem Bordell nicht total eingesperrt. 
Einmal in der Woche konnten wir Mädchen einkaufen gehen in die Stadt oder ins Kino. Mein 
Freund  hat  mich  dann  in  ein  Frauenhaus  gebracht.  Durch  dieses  Frauenhaus  bekam  ich 
Kontakt zu Solwodi. 
Jetzt versuche ich, in Deutschland zu Hauptschulabschluss zu machen. Ich habe ja keine 
abgeschlossene Schulausbildung. Zu meiner Familie will ich nie mehr zurück! Ich hoffe, dass 
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ich in Deutschland bleiben und hier eine Berufsausbildung machen kann, denn ich möchte 
lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. 
 
 
 
Quelle: Ackermann, Lea; Bell, Inge; Koelges; Barbara (2005): verkauft, versklavt, zum Sex 
gezwungen. Das große Geschäft mit der Ware Frau, München, S. 21-30. 
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