Grandioses Interview mit Christian Streich Allgemein 2430 Aufrufe Speichern Drucken Weiterleiten PDF an Freunde weiterleiten: Ihre IP-Adresse wird aus Sicherheitsgründen gespeichert um kriminelle Aktivitäten und unerlaubten Spam zu unterbinden. Leiten Sie nur E-Mails weiter, wo der Empfänger mit dem Versand auch einverstanden ist. Ihre E-Mail Adresse Ihr Name Empfänger E-Mail Adresse Empfänger Name Ihre zusätzliche Nachricht [recaptcha] Eigene PDF Hochladen PDF & Publisher Info (QR-Code downloaden) Frankfurt am Main, 13.07.2018 https://pdf-ins-internet.de/?p=40615 Teilen: ChristianSternStern Nr. 28 vom 5.7.2018Streich NR. 28 5. 7. 2018 € 4,70 Österreich: € 5,20 /Schweiz SFR: 7,50 / Frankreich, Italien, Spanien, Slowenien, Portugal (cont.): € 6,20 / Kanaren: € 6,50 / Griechenland: € 6,80 / Benelux: € 5,50 / Finnland: € 6,80 / Norwegen: NOK 80,- / Dänemark: DKK 55,- / Ungarn: HUF 2045,- 4 1908 04 10 4700 28 Wie Angela Merkel ihre Macht verteidigt und wie sie jetzt weiter regieren will DIE KÄMPFERIN Der Mord an der Zarenfamilie Kult-Trainer Christian Streich Luxustrend Wohntürme Das Verbrechen, das Russland seit 100 Jahren bewegt "Löw versteht sein Handwerk" Das Leben in höheren Sphären Helsinki Reisetipp: Hochsommer in der glücklichsten Stadt der Welt Eingestellt über www.PDF-ins-Internet.de - Haftung für Inhalt und Inhaber aller Rechte ist der Puplisher Kontaktdaten und Anbieterkennung des Puplishers/Autors entnehmen Sie bitte dem PDF-Archives auf www.PDF-ins-Internet.de. TITEL: ANDREAS CHUDOWSKI?LAIF; EDITORIAL: ILLUSTRATION: JAN STÖWE; INHALT: WILLI BRANDT?DPA; DONAT SOROKIN?TASS?ACTION PRESS; ANDRÉ RIVAL?STERN; ANDREE KAISER?STERN; MAURITIUS IMAGES; BRITTA JASCHINSKI; ISADORA KOSOFSKY Titel Regierungskrise Showdown in Berlin: Die Eskalation zwischen Merkel und Seehofer ist beispiel- los. Was wird aus der Union? 26 Worüber gestritten wird: Fakten zur Migration 32 "Deutschland verliert gerade dramatisch an Gewicht." Politologe Herfried Münkler warnt vor den Folgen der Zerrüttung 36 Bilder der Woche Syrien Rückkehr ins Ungewisse 12 Großbritannien Einkaufen mit Gasmaske 14 Indien Kostbares aus dem Tankwagen 16 Kolumne Zwischenruf Hans-Ulrich Jörges: Abgang mit erhobenem Haupt 18 Kosmos Deutschland und die Welt Nachtwächter-Casting in Hamburg- St.Pauli Von der Adilette zum Designerstück: Geschichte der Badelatschen 20 Politik/Wirtschaft Verteidigung Dauerfrieden war gestern. Deutschland arbeitet an Konzepten für den Kriegsfall 92 Gesellschaft 2 Architektur Himmelstürmer in Glas, Stahl und Beton: So sehen die neuen Wohntürme der Großstädte aus 46 2 Russland Um den Mord an der letzten Zaren- familie 1918 ranken sich wieder Verschwörungstheorien. Sie befeuern antiwestliche Ressentiments 64 Prozess "... damit du leidest!" Ein eifersüchtiger Mann verschonte seine Ex-Partnerin - und tötete ihre Liebsten 96 Kolumne Meike Winnemuth: Einfach nutzlos sein 100 NR. 28 VOM 5. JULI 2018 WAHNSINN FUSSBALL Trainer Christian Streich redet o?en über die Ängste seines Berufsstandes - sowie über das WM-Aus der deutschen Mannschaft Seite 72 HÖHENFLUG Einst verpönt, heute angesagt: In Deutschland entstehen Dutzende Wohnhochhäuser - vom Prestigebau bis zur Platte 2.0 Seite 46 HOCHAMT DER PROPAGANDA An jedem 17. Juli gedenken Zehntausende Russen des letzten Zaren und seiner Familie, deren Ermordung sich nun zum 100. Mal jährt - und dem Patriotismus dienlich ist wie nie Seite 64 "SCHURKENSTÜCK" Gisela Stelly Augstein, vierte Frau des "Spiegel"-Gründers Rudolf Augstein, über Wahrheit und Geheimnis in der Familie Seite 40 ????????? INHALT Auf dem Titel angekündigte Themen sind mit einem 2 gekennzeichnet Digitale Ausgabe Der stern erscheint auch für iPads und Android-Tablets sowie für Smartphones und Amazon Kindle. Download mittwochs ab 18 Uhr. Sie zahlen im Einzelverkauf pro Ausgabe 3,99 Euro, siehe www.stern.de/emagazine Eingestellt über www.PDF-ins-Internet.de - Haftung für Inhalt und Inhaber aller Rechte ist der Puplisher Kontaktdaten und Anbieterkennung des Puplishers/Autors entnehmen Sie bitte dem PDF-Archives auf www.PDF-ins-Internet.de. Christian Streich im Stadion des SC Freiburg: "Hier schauen uns 24 000 Zuschauer zu. Ich will sie mit Siegen glücklich machen" Eingestellt über www.PDF-ins-Internet.de - Haftung für Inhalt und Inhaber aller Rechte ist der Puplisher Kontaktdaten und Anbieterkennung des Puplishers/Autors entnehmen Sie bitte dem PDF-Archives auf www.PDF-ins-Internet.de. FOTO: SHAUN BOTTERILL?GETTY IMAGES E s gibt, Herr Streich, einen bemerkens - werten Satz von Ih- nen: "Ich lüge nicht." Das habe ich noch nie gesagt. Dieser Satz ist mir unterstellt wor- den. Ich weiß nicht, ob es jemals einen Menschen gegeben hat, der nicht gelogen hat. Auch ich, klar, habe schon mal gelogen. Aber jetzt mal ganz ehrlich: Hat bei Ihnen in den vergangenen Tagen jemand vom DFB angeru- fen und gesagt: "Herr Streich! Kommen Sie! Retten Sie uns! Befreien Sie uns von dieser WM- Blamage!" Nein. Erstens rette ich niemanden, und zweitens hat die National- mannschaft mit Jogi Löw einen außergewöhnlich guten, einen super Trainer. Das sagen Sie nach dieser pein- lichen WM-Pleite! Selbstverständlich. Löw versteht sein Handwerk, sonst wäre er 2014 nicht Weltmeister geworden, sonst hätte er in den vergangenen Jahren die Fans mit seinen wunderbaren Spielen nicht so erfreuen können. Es wäre abwegig, jetzt einen ande- ren Trainer zu suchen! Das sehe ich nicht so. Löw kann jetzt gar nicht mehr weiterma - chen. Er steht mit dem Rücken zur Wand - und ist entzaubert. Nein, überhaupt nicht. Sie dramati- sieren mir zu sehr. Wäre Löw 2014 nach dem WM- Titel zurückgetreten - er wäre in die Geschichte des Fußballs einge- gangen als der große Held. Er wäre für immer als Strahlemann da- ge standen. Aber jetzt ... ... scheidet er aus. Das ist Fußball. Sieg, Niederlage, Jubel, Trauer, Zufall, alles ist so eng beieinander. Italien ging nach dem WM-Titel fast unter, Spanien hatte nach seinem WM-Sieg plötzlich fundamentale Probleme. Dieses Ungewisse macht Fußball so toll. Darin liegt die Faszi- nation dieses Sports. Es gibt kein Naturrecht, dass Deutschland im- mer ins Endspiel kommt. Das mögen Sie so gelassen sehen, aber für Löw ist das Ganze doch unfassbar tragisch. Hart gesagt: Er ist zertrümmert. 4 Am 27. Juni unterlag die deutsche Nationalmannschaft Südkorea mit 0 : 2 und schied schon in der WM-Vorrunde aus. Streich: "Es gibt kein Naturrecht, dass Deutschland immer ins Endspiel kommt" Für Christian Streich, den Trainer des SC Freiburg, bietet Fußball großes Theater: den Aufstieg und Fall von Menschen. Ginge es nach ihm, sollte der Bundestrainer die Chance erhalten, die WM-Schmach zu tilgen LÖW IST ÜBERHAUPT NICHT ZERTRÜMMERT Von Arno Luik; Fotos: Andree Kaiser " ?????????? DAS STERN?GESPRÄCH Eingestellt über www.PDF-ins-Internet.de - Haftung für Inhalt und Inhaber aller Rechte ist der Puplisher Kontaktdaten und Anbieterkennung des Puplishers/Autors entnehmen Sie bitte dem PDF-Archives auf www.PDF-ins-Internet.de. FOTOS: ANDREAS GEBERT?DPA; ANDREE KAISER?STERN Warum denn nicht? Wäre doch eine klasse Idee. Nein! Der Bundestrainer kann es deshalb nicht machen, weil er im Kopf hat: Wenn es schiefgeht, was machen die dann mit mir? Dann ... ... dann zerreißen die mich! Ist da diese Angst? Ja. Dann wird er zerrissen. So ist es. Was ich interessant ?inde: Der Marktwert der deutschen Spieler bei dieser WM lag im Schnitt bei 38 Millionen, bei den Mexikanern, gegen die Deutschland das Auf- taktspiel verlor, bei gerade mal 6 Millionen Euro. Das ist das Schöne an diesem Spiel. Niemand weiß, wie es ausgeht. Das Spiel ist natürlich Tragödie. Früher gingen die Leute ins Theater - es gibt immer noch welche, die das tun -, aber heute erlebt man dieses Thea- ter auf dem Kickplatz. In kürzester Zeit, ganz komprimiert, er?ährt man da das Leben, wie es ist: Aufstieg und Fall von Menschen, Verlieren oder Gewinnen, Freude und Frust, man kann gemeinsam schreien, zusam- men trauern, genießt Schönes, ärgert sich über Unschönes. Nochmals: Glauben Sie wirklich, dass Joachim Löw weitermachen kann? Ja. Es gibt alle vier Jahre eine Welt- meisterschaft, und ein WM-Sieg ist der höchste Punkt. Es gibt davor einen Aufstieg, und danach gibt es einen Abstieg. "What goes up, must come down, spinnin" wheel got to go "round", heißt es in einem Song von "Blood, Sweat & Tears". Was hoch?iegt, kommt auch wieder runter - sehen Sie das so? Genau. Jetzt wird es spannend für Löw. Wenn du abgestiegen bist, kannst du Stolz und Kraft daraus ziehen, wenn du diesen Moment der sogenannten Schmach bewältigst - daraus kann große Energie erwach- sen. An dem Punkt ist jetzt Löw. Im Fußball fallen wir doch die ganze Zeit hin. Jeder Fußballer, der 20 Jahre alt ist, ist schon 10 000-mal gestürzt, und wenn er ein richtiger Kicker ist, ist er jedes Mal wieder auf- gestanden. Nach Stürzen, also Niederlagen, sind Sie selbst oft tagelang nicht ansprechbar. Manchmal zwei, manchmal drei Tage, manchmal nur einen Tag lang nicht. Ich will gewinnen. Nach Niederla- gen will ich das nächste Spiel besser machen, Fehler korrigieren. Das ist die Verp?ichtung, die mich antreibt. Der Druck. Hier schauen uns 24 000 Menschen zu, ich will sie mit Siegen glücklich machen. Wenn wir gewin- nen, geht es mir kurzfristig besser. Denn ich habe dann das Gefühl, diese Angst bewältigt zu haben. Welche Angst? Die Angst vor der Niederlage. Die ist riesengroß. Wir alle haben diese Angst, der eine mehr, der andere Er ist überhaupt nicht zertrümmert. Ich habe mit dieser Sichtweise Pro- bleme. Man redet von Pleite. Unsinn. Eine Niederlage ist eine Nieder- lage, mehr nicht. Für mich ist Pleite ein Geschäftszusammenbruch, der Untergang eines Betriebs. Wenn mein Vater, er war Metzgermeister, früher sagte: "Der ist pleitegegan- gen", dann war das eine Tragödie, etwas ganz Schlimmes. Löw wurde 2014 Weltmeister, es wäre einfach für ihn gewesen, damals als Held abzutreten. Nur wenige scha?fen es, im Zenit abzutreten. Ja, weil da natürlich auch dieser Ehr- geiz ist. Und der Erfolg ist süß. Süß? Ein drolliges Wort. Der Erfolg ist sehr süß sogar. Und da ist auch diese Sucht, Sucht nach Sie- gen, das ist bei uns Trainern immer ein schmaler Grat, weil wir das alles so intensiv machen, dass es so ener- getisch aufgeladen ist - wie es das im alltäglichen Leben nicht gibt. Der TV-Kommentator Béla Réthy sagte bei dem Spiel Deutschland gegen Südkorea: "Das ist hier alles keine Zeitlupe. Das sind reale Bilder." Ja, ja, das sagt der Béla Réthy. Weil die Spieler nicht diese Energie drin hat- ten. Sie müssen sich aber auch die Geschichten der einzelnen Spieler anschauen. Toni Kroos lebt wie ein Mönch, der lebt nur für den Fußball. Er gibt alles. Er hat seit Jahren kei- nen Urlaub mehr, seit Jahren ge- winnt er die Champions League, seit Jahren ist er bei all den vielen Tur- nieren und Spielen dabei. Haben Sie sein Gesicht gesehen nach dem Spiel? Diese Augenringe, wie ausge- powert er war. Was Toni die letzten Jahre geleistet hat, das ist abartig. Vielleicht machen die Großen auch Fehler, vielleicht hätte ein ganz großer Trainer erkannt, dass man- che seiner älteren WM-Heroen von 2014 jenseits ihrer besten Tage sind. Vielleicht hätte er sie durch jüngere, erfolgshungrigere, un- verbrauchtere Spieler ersetzt. Im Nachhinein ist es leicht, alles in- frage zu stellen. Aber vorher? Da kannst du nicht, wenn du Weltmeis- ter bist, einfach andere Spieler ho- len und sagen: Ach, jetzt bleibt ihr sechs, sieben WM-Sieger draußen, ihr Khediras, Müllers und so. Jetzt lassen wir mal die anderen kicken. Historische Dinge passieren, die man nicht erwartet: Löws letzte Minuten bei der WM. Streich: "Wenn du diesen Moment der sogenannten Schmach bewäl- tigst - daraus kann große Ener- gie erwachsen" ?????????? Eingestellt über www.PDF-ins-Internet.de - Haftung für Inhalt und Inhaber aller Rechte ist der Puplisher Kontaktdaten und Anbieterkennung des Puplishers/Autors entnehmen Sie bitte dem PDF-Archives auf www.PDF-ins-Internet.de. weniger - man redet nur nicht da- rüber. Wenn man diese Angst über- wunden und all diese Widerstände beseitigt hat, ich benutz jetzt wie- der das für Sie merkwürdig klingen- de Wort: Dann ist das süß. Ein komischer Beruf - dieses Trainerdasein. Das stimmt. In welchem Beruf wird man schon bei seiner Arbeit - dem Spiel - ständig ge?lmt, ständig be- obachtet, wie man sich verhält. Und dann wird man bewertet, beurteilt, verurteilt. Jeder glaubt dir sagen zu können, wie du die Mannschaft hättest richtig aufstellen können. Kurz bevor die Filmschauspielerin Marlene Dietrich sich in ihre Pari- ser Wohnung zurückzog, komplett aus der Ö?fentlichkeit verschwand, sagte sie: "Man hat mich zu Tode fotogra?ert." So gesehen bin ich auch schon längst tot. Deswegen habe ich auch gar kei- ne Lust mehr, Interviews zu machen. Mit Ihnen jetzt, das ist die Aus- nahme. Aber alles ist schon gesagt. Der Vater ist Metzger, die Mutter hat hart gearbeitet, ist immer gerannt. Ich hab nichts mehr. Verstehen Sie? Nein. Ich hab alles schon gschwätzt. Alles isch gsait. Der 29. Dezember 2011, der Tag, an dem Sie den Trainerjob beim SC Freiburg annahmen - ist das ein Glückstag für Sie, oder ver?uchen Sie ihn manchmal? Das ist kein Glückstag. Ich wusste, es wird nun unausweichlich in eine bestimmte Richtung abgehen. Ich habe gewusst, ich werde zu Tode fotogra?ert. Ich habe gewusst, dass es nicht gut aussieht, wenn ich am Spielfeldrand kämpfe, mache und tu, weil ich emotional so sehr nach außen gerichtet bin, manchmal wild wirke, unkontrolliert. Das habe ich gewusst. Und hab"s trotzdem getan. Staunen Sie über sich, wenn Sie am Spielfeldrand rumagieren? Nein. Manchmal hat man bei Ihnen das Gefühl, Sie sind bloß noch einen Wimpernschlag vom Wahnsinn entfernt, wenn Sie da losteufeln, losrasen. Ich teufele nicht los, und ich rase auch gar nicht so oft los. Wenn ich es dann doch tue, muss ich damit leben, dass die Kameras genau die- se eine kurze Szene einfangen. Man sieht, wie Sie die Zähne ?et- schen, weißglühend sind vor Zorn. Das ist nicht schön. So will man sich nicht sehen. Aber die warten auf so eine Szene. Ich stecke da in einer Schublade. Ich bin in einem Klischee gefangen. In der vergangenen Saison, beim Spiel gegen Schalke, hatte man das Gefühl, Sie wollten dem Schieds- richter an den Kragen gehen. Sie stürmten los, drei Leute hielten Sie gerade noch mit aller Kraft zurück. Schalke war eine Ausnahmesitua- tion. Ich schäme mich dafür, wie man sich für etwas nur schämen kann. Wie ist das für Sie, wenn Sie diese Bilder abends in der "Sportschau" anschauen - vielleicht gemeinsam mit Ihrem Sohn? Ich schau das nicht an, ich will es nicht sehen, ich ertrage es nicht. Diese Bilder zeigen: So wie Sie sich bei diesen Spielen reinhängen - Sie verbrennen. Ja, natürlich verbrenne ich. Aber wir alle brennen bei diesem Job aus. Vielleicht haut"s mich mal von der Bank. Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Job noch machen möchte. Und dann mach ich doch weiter. Obwohl es mich enorm viel Kraft kostet, mentale Kraft, körperliche Kraft, psychische Kraft. Wenn ich heimkomme, fehlt mir diese Kraft. Du musst schauen, dass du nicht zu sehr deformiert wirst. Ich habe früher gern gekocht, das habe ich inzwischen verlernt. Warum machen Sie dann weiter? Weil ich es so gerne mache. Weil ich zum Beispiel nachher den Nils Pe- tersen tre?fe oder den Karim Guédé. Weil wir hier im Verein die ganze Welt zu uns holen können. Wenn ich früher mit Admir Mehmedi geredet habe, der jetzt bei Wolfsburg spielt, oder jetzt mit Amir Abrashi rede, weiß ich anschließend mehr über Albanien und Mazedonien, und die Spieler wissen mehr von mir. Ich könnte Ihnen Hunderte von Ge - schichten erzählen - von Spielern, die Flüchtlinge waren. Keiner hat auf sie gewartet, aber manche von ihnen sind Pro?s geworden. Ihre Geschich- ten sind das Schönste im Fußball. Fußball, so heißt es oft, habe eine gesellschaftliche Vorbildfunktion. Bayern München wäre ohne seine Ausländer wahrscheinlich ein mit- telmäßiger Rumpelverein. Aber was im Fußball funktioniert, ?ndet keine Entsprechung in der Politik, im Gegenteil: Die Grenzen werden hochgezogen. Das stimmt. Ich verstehe auch nicht, warum das nicht betont wird, dass der Fremde dein Freund und eine Bereicherung für uns sein kann. 4 Streich, geboren in Weil am Rhein und seit 2011 Trainer des SC Freiburg, gilt als der unbe- queme, der nach- denkliche, der reflektierteste unter den Fuß- ball-Lehrern. So kommentiert er in Presse- konferenzen nach Spielende auch mal Fußball- Fernes, etwa die Flüchtlings- politik und den Aufstieg der AfD " FRÜHER KOCHTE ICH GERN. DAS HAB ICH VERLERNT" ?????????? Eingestellt über www.PDF-ins-Internet.de - Haftung für Inhalt und Inhaber aller Rechte ist der Puplisher Kontaktdaten und Anbieterkennung des Puplishers/Autors entnehmen Sie bitte dem PDF-Archives auf www.PDF-ins-Internet.de. Seit drei Jahrzehnten interviewt Arno Luik Promi nente. Aber so, wie ihn Streich verabschie- dete, das hat er noch nie erlebt: "Herzlichen Dank für das Gespräch" Was ich bemerkenswert ?nde: Arjen Robben kam zu mir und hat sich entschuldigt, er sagte: "Es tut mir leid. Für euch geht es heute um et- was, um die Quali?kation für die Europa-League!" Ich kann verste- hen, wenn Sie oder die Fans sagen: Was soll das!? Was machen Sie, um dem zuneh- menden Wahnsinn zu entkom- men? Ich sehe mir das alles an, ich beob- achte es, und ich muss dann lächeln. Lächeln im Sinne von: "Wie kann man nur? Wie weit wollen die noch gehen?" Ich weiß, sie werden das Spiel noch mehr ausquetschen, noch mehr Kohle rausholen. Ich guck da nicht mehr so genau hin, ich lese lieber ein Buch. Und das hilft? Lesen ist für mich wahnsinnig wich- tig. Existenziell wichtig. Mir erzählt da ein kluger Kopf eine Geschichte, und ich gehe mit ihr in einen ande - ren Raum. Ich bin allein mit dem Buch, nicht in einer Interviewsitu- ation, in der ich mich erklären muss. Ich weiß nicht, ob das eine Flucht ist. Ich fahre auch gerne Fahrrad, um ab- zuschalten. Draußen, die Natur, der Wald helfen immer. Ich würde auch gerne kicken, aber das kann ich nicht mehr. Wenn du richtig kickst, kannst du alles vergessen. Alles Leid. Alle Trauer, sogar alle Freude. Der Ball, hat Diego Maradona ein - mal gesagt, sei für ihn "Mutter und Geliebte zugleich". Ja, so mag er das sehen, das ist Sym - bolik. Der Ball ist rund. Der Ball ist unkontrollierbar. Deshalb üben wir die ganze Zeit, um ihn zu kontrol- lieren. Das ist das Faszinosum. Dieses stetige, aber vergebliche Be- mühen. Auch das Leben ist vergeb- lich. Sie werden geboren, und in dem Moment, wo Sie geboren werden, ist die Katastrophe der Vergänglichkeit implizit. Das ist der Ball. Der Ball ist genau wie das Leben. Nun etwas Profaneres: Wer wird Weltmeister? Ich ho?fe, eine Mannschaft, die noch nie im Endspiel stand. Das würde mich freuen. 2 Es ist ein menschliches Drama, was im Mittelmeer geschieht. Aber da ist natürlich die Angst. Sie bestimmt alles. Sie wird geschürt. Als Rettung von dieser Angst kommt dann die Abschottung. Ihre Pressekonferenzen nach Spie- len sind legendär. Sie äußern sich da zu Gott und der Welt. Wenn Streich spricht, notiert das Fuß - ballmagazin "11 Freunde", "können daraus unversehens Grundsatz- reden erwachsen und bewegende humanistische Manifeste". Ich sag halt manchmal, was ich gut oder schlecht ?nde. Ich überlege mir vorher nichts. Immer wenn ich im Studium zu lange überlegt habe, dann habe ich nachher nicht mehr richtig reden können. Ich bin an der Geschichte interessiert, am Zustand der Welt. Und so klagen Sie etwa, dass "der Mammon" uns alle verschlingt. Klar, wenn wir nicht aufpassen. Mei- ne Oma hat immer gesagt und sich dabei auf die Bibel bezogen: "Der Mammon ist der Teufel, wenn man ihn falsch einsetzt." Der macht dich natürlich kaputt, der zerstört dei- nen Kopf. Ich muss auch kämpfen, täglich, dass ich mich nicht korrum- pieren lasse von Dingen, die nicht gut für mich sind. Es ist putzig, was Sie da sagen: Sie sind in einem Gewerbe, bei dem der Mammon und nichts als der Mammon regiert. Ja. Ich versuche deshalb, um relativ unbeschadet zu überleben, eine Dis- tanz zu bewahren. Ich mache den- noch bei dem Spiel mit, und ich pro- ?tiere auch davon. Aber ich mache keine krummen Geschäfte, betei lige mich nicht an unlauteren Dingen. Ich mache keine Deals mit irgend - welchen Spielerberatern. Ich will mit den Jungs raus auf den Rasen, wir üben zusammen, wir reden mit- einander, und dann will ich mit ihnen so spielen, dass die Zuschauer glücklich sind. Und wir werden sehr gut bezahlt, weil sich viele Menschen für dieses Spiel interessieren. Zwei Zahlen, die zeigen, wie sehr Ihr Spiel, dieser Manchesterkapi- talismus des Fußballs, außer Rand und Band geraten ist: 222 Millionen Euro bekam der FC Barcelona im vergangenen Sommer, um den Spieler Neymar zu Paris Saint-Ger- main ziehen zu lassen. Ich schau mir das nicht mehr an. Es interessiert mich nicht, ob der oder der so viel verdient, ob bei einem Transfer eine Milliarde ?ießt. Wenn ich mich nicht davon distan- zierte, würde ich verrückt. Und Thomas Müller verdient - ohne Werbeverträge - 16 Millio - nen Euro im Jahr. Eine Kindergärt- nerin bekommt knapp 40 000 Euro. Sie müsste 400 Jahre lang arbeiten, um auf ein Jahresgehalt von Müller zu kommen. Darüber müssen wir gar nicht reden. Doch. Wenn ich darüber bis in die letzte Konsequenz nachdenke, müsste ich alles hinwerfen. Aber wie wäre es, wenn ich jetzt in einem Auto- konzern eine wichtige Stellung hät- te und auch viel Geld verdienen würde: Müsste ich mich da nicht auch von vielen Dingen distan- zieren? Es gibt kein richtiges Leben im Fal- schen. So hätte ich es sagen müssen. Es ist ganz vieles kritikwürdig. Es ist ein Wunder, dass es den Fußball noch gibt. Ein Wunder, dass so viele Men- schen den Fußball noch lieben. Es ist ein Wunder, weil an ihm so viel rum- gezerrt worden ist. Stellen Sie sich mal vor, an Ihnen wäre so viel rum- gezerrt worden. Von Ihnen wäre nur mehr ein Knochen, nein, allenfalls ein Knöchele übrig. Ich nehme an, Sie denken nun an die Herren des Weltfußballs, die Bürokraten der korrupten Fifa. Die machen ihren Job, ich will über sie gar nicht reden. Nicht weil ich Angst hätte. Sie wollen viel Geld ver- dienen mit einem Ballspiel, das sie wahrscheinlich gar nicht lieben. Was mich nervt: Da spielt der SC Freiburg gegen Bayern München. 2017 war das, die Bayern wollen ihre früh gewonnene Meister - schaft feiern und schicken in der Pause die Popsängerin Anasta- cia aufs Feld. Für Sie und Ihren Klub aber ist es ein sehr wichtiges Spiel, doch Sie müssen warten, bis die Sängerin mit ihrer Show fertig ist. " ES IST EIN WUNDER, DASS ES DEN FUSSBALL NOCH GIBT" ?????????? Eingestellt über www.PDF-ins-Internet.de - Haftung für Inhalt und Inhaber aller Rechte ist der Puplisher Kontaktdaten und Anbieterkennung des Puplishers/Autors entnehmen Sie bitte dem PDF-Archives auf www.PDF-ins-Internet.de.