Martin und der Teufel

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3.) Martin und der Teufel 
 
Nach einer ambulanten Untersuchung, die kürzer dauert als erwartet, fährt Martin 
von Stuttgart heim. Der Zug ist bereits gut gefüllt, aber er findet noch einen Sitz 
am Mittelgang des hintersten Großraumwagens, wo pro Abteil sowohl rechts als 
auch  links  des  Mittelganges  vier  Personen  reisen  können,  stets  zwei  einander 
gegenüber. Von den insgesamt acht Plätzen sind an dieser Stelle nunmehr sieben 
besetzt; frei ist nur noch der ihm schräg vis-à-vis. Die sechs Passagiere um ihn 
herum sind Erwachsene beiderlei Geschlechts, fünf irgendwelche Leute, für ihn 
ohne Gesicht. Nur von dem über den Gang neben ihm Sitzenden fällt ihm einiges 
auf: Ein junger Mann, mittels Kopfhörer Beatmusik lauschend, kaum vernehmbar, 
niemand störend. Martin beneidet ihn, weil er als einziger die Beine ausstrecken 
kann, was dieser auch genüsslich in voller Länge tut, ohne jedoch von der Unsitte 
Gebrauch zu machen, seine Füße drüben auf die Polster zu legen; die Schuhe aus 
und in frischen Socken sähe dies nicht jeder als Ungezogenheit. 
Leider wird der letzte freie Platz schon beim ersten Halt belegt, d.h. der Nachbar 
muss nun auch sein 'Fahrgestell' einziehen, in diesem Fall wohl durchaus gern, 
denn was man da aus der Winterkleidung schält, entpuppt sich als ausgesprochen 
hübsche etwa Zwanzigjährige! Sollte allerdings daraufhin irgendwelche Hoffnung 
auf ein fröhliches Augenspielchen oder gar Knielesreiben gekeimt sein, wie von 
erwartungsvollem  Schmunzeln  und  sich  spannender  Haltung  bereits  leicht  an-
gedeutet, so wurde er enttäuscht; denn er war offensichtlich trotz leisem Pop und 
jugendlicher Männlichkeit keineswegs ihr Typ, blieb folglich nicht als potentieller 
Partner in ihrem reflektorischen Instinkt-Raster hängen. Sie setzte sich nämlich 
deutlich abwendend nach rechts verdreht, so dass die schönen Beine, an ihren 
himbeerfarbenen  Koffer  gedrückt,  in  den  Durchgang  ragen  und  somit  von 
gegenüber, selbst scheinbar unbeabsichtigt, unberührbar bleiben. Auch ihr Blick 
geht aus dieser Position in die falsche Richtung, nämlich auf Martin zu. 
Der hatte das weibliche Wesen schon beim etwas mühsamen Herannahen, den 
freien Platz im Visier, bemerkt! Sie schob ihren ziemlich großen und offenbar 
recht schweren Koffer, hochkant am Griff gepackt, auf Rollen vor sich her. Martin 
verglich  mit  dem  seinen,  den  er  auf  längeren  Reisen  am  ausziehbaren  Gestell 
breitseitig  hinterher  zog.  Auf  Bahnsteigen  und  Rolltreppen  ist  dieser  sicher 
richtiger;  der  andere  hat  aber  auch  seine  Vorteile,  weil  man  ihn  mit  der 
Schmalseite in engen Zugdurchgängen an stehenden oder entgegenkommenden 
Reisenden leichter vorbeischieben kann. Wie dem auch sei, die junge Dame hatte 
sich eben beim Kauf für solch ein Modell entschieden. 
Ob  sie  davon  ausgeht  oder  zumindest  hofft,  dass  ihn  einer  der  hier  herum-
hockenden starken Männer auf die Gepäckablage hoch wuchtet, weiß man nicht. 
Martin fühlte sich jedenfalls nicht dazu berufen. Dann sollte es schon eher der 
junge Nachbar, der ja nun durch ihre Nähe beglückt wird, wenigstens, wenn auch 
theoretisch etwas mehr möglich war und sogar bei einem kleinen Linksschwenk 
durchaus noch drin wäre. Aber auch dieser Sportfreund tat lieber so, als sähe er 
das 'Klavier' nicht und hält sich respektvoll zurück. Und weil offenbar keiner als 
Herkules bewundert sein will, bleibt der himbeerrote Kasten eben unten, hochkant 
neben der Besitzerin im Durchgang. Wer will, kommt schon irgendwie vorbei, 
während sie ihn als Auflage für den rechten Unterarm nutzt, das feine Händchen 
 
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am Griff, ihn dadurch auch festhaltend, so dass er eigentlich nicht umfallen kann, 
zumal der hochmoderne Zug auf neuer gerader Strecke nahezu erschütterungsfrei 
dahingleitet. 
Martins  unvorsichtig  bewundernden  Blick  ob  ihrer  Schönheit  registriert  sie 
offensichtlich  schon  beim  Öffnen  ihres  Anoraks,  stutzt  einen  Moment,  als 
überlegte  sie,  ob  ihr  dieser  ältere  Herr  nicht  irgendwie  bekannt  sei. Aber  sie 
kommt wohl rasch zu dem Ergebnis: 'Doch nicht!', was sie allerdings keineswegs 
daran hindert, ihm wie zur Begrüßung freundlich zuzunicken, sonderbarerweise 
nur  ihm,  sonst  niemandem  in  der  Umgebung.  Auch  anschließend  behält  sie 
ausschließlich  ihn  im  Blick,  nicht  gerade  anstarrend,  aber  immer  mal  wieder, 
dabei  voller  Liebreiz  lächelnd,  eindeutig  darauf  wartend,  dass  er  irgendein 
Gespräch mit ihr begänne, was ihn allerdings mehr erschreckt, denn  ermutigt. 
Allmählich macht er sich sogar erste Vorwürfe, dass er ihr überhaupt entgegen sah 
und dadurch ihre Aufmerksamkeit erregte. Was geht ihn dieses Mädchen an?! Ist 
er nicht wie Hiob einen Vertrag mit seinen Augen eingegangen, nach keiner Frau 
mehr  zu  schielen  und  sei  sie  noch  so  jung  und  hübsch.  Selbstverständlich 
verkneift er sich jedes Wort und beginnt demonstrativ ihr Angesicht zu meiden. 
Und  damit  ihr  seine  Glotzer  nicht  weiterhin  unwillkürlich  Gottverbotenes 
zufunken, schließt er diese, als wolle er  ein Nickerchen machen. Durch einen 
winzigen Lidspalt konnte er dennoch sehen, ob sie ihn weiterhin beäugt! Und 
tatsächlich, sie tut es fast ununterbrochen. Na so was! Verstohlen mustert er sie 
nun genauer: Ungeschminkt und sauber; nicht aufreizend gekleidet; sehr gepflegt; 
kein Ring, keine sichtbaren Piercings, Tätowierungen etc.; Brünette natur, halb-
lang;  Nägel  gepflegt,  kurz,  ohne  Lack;  anziehender Geruch,  kein  abstoßender 
Zigarettengestank, keine Alkoholfahne, kein Haschisch-Haschmich-Blick; beque-
me Schuhe. Alles proper im Lot und nach Martins Gschmäckle, obwohl ihn ja 
dieses Mädchen gar nichts angeht, wie er sich schon einmal sagte! Macht fast den 
Eindruck eines Unschuldengels, wie einst sein Martinchen. Ist sie vielleicht eine 
solche  mit  heimlich  miserablem  Doppelleben??  Die  Sache  beginnt  ihm  un-
gemütlich zu werden bei so viel warmherzig-weiblicher Beachtung! Es wird ihm 
mal wieder bewusst, dass er wegen der vielen harten Handarbeit im Garten keinen 
Ehering trägt, so wie früher wegen des Geräteturnens. Schließlich reißt er sich die 
Mütze vom Kopf, um ihr zu zeigen, welch bejahrter Glatzkopf da sitzt. Aber auch 
dies scheint der Fremden nichts auszumachen, so wie sich Martina ihrerzeit weder 
an kahlen Schädeln, noch an vorgerückten Jahren, noch an Eheringen störte, nicht 
mal am eigenen. Ja, was nun?? Un- oder doch schon erfahren?? Vielleicht trotz 
strahlender Augen tief im Herzen unglücklich, weil sie gerade von einem Heirats-
schwindler  betrogen  wurde  und  nun  bei  ihm  Trost  sucht?  Eventuell  gar  vom 
horizontalen Gewerbe, die es auf seine Brieftasche abgesehen hat, die er unvor-
sichtiger  Weise  zückte,  um  den  Fahrschein  hineinzustecken? Aber  so  sah  sie 
keineswegs  aus.  Meistens  erkennt  man  diese  Liebesdienerinnen  irgendwie,  oft 
machen sie auch kein Hehl aus ihrem sogenannten Beruf. Jedoch nicht immer! 
Oder sah man es Martina vielleicht an, was sie schon hinterrücks trieb? Solche 
Gedanken schießen ihm mal wieder durch den psychopathischen Grüblerkopf, als 
er das unbekannte Wesen einzuordnen sucht, das sich bisher durchaus so verhielt, 
als wollte oder sollte es ihn auftragsgemäß anmachen. 
Unterdessen nähert sich der Zug einem Bahnhof,  in dem der hintere Wagen, wie  
 
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angekündigt,  abgekoppelt  wird.  Reisende  nach  Königstadt,  müssen  aus-  und 
weiter vorn wieder einsteigen. Martin hatte die entsprechenden Hinweisschilder 
in  Stuttgart  gedankenvoll  übersehen,  sonst  wäre  er gleich  weiter  nach  vorn 
gegangen. Jetzt aber schaltete er sofort, als eine diesbezügliche Durchsage kam, 
die  man jedoch  wegen  der  Fahrgeräusche  und  dem  Stimmengewirr  im  Innern 
leicht überhören konnte. Er macht sich früh für den Wechsel bereit und geht zur 
nächsten Außentür;  auf  keinen  Fall  will  er  in  die  Verlegenheit  oder  gar  Ver-
suchung geraten, der Dame mit dem Koffer behilflich zu sein und ihr dabei näher 
zu kommen; denn diesen Wagen müssen ja jetzt alle verlassen und jeder deutet es 
z.B. durch Überziehen des Mantels an; nur die Schöne trifft keine Anstalten dazu, 
wie er durch Hinlinsen feststellt. Da schöpft er den dringenden Verdacht, dass sie 
vielleicht als Ausländerin von dem Abkoppeln nichts mitbekam, und keinem der 
anderen Fahrgäste fällt dies auf. Selbstverständlich soll, ja muss er nun zu ihr 
zurück, um sie darauf hinzuweisen. Doch er bleibt mit pochenden Herzen und 
schlechtem  Gewissen,  sich  krampfhaft  an  eine  Stange  klammernd,  wie  ange-
wurzelt stehen, aus Angst, ja aus purer Angst, ihre nähere Bekanntschaft machen 
zu müssen, was er als Mann zwar durchaus will, als Ehegatte aber nicht darf! Und 
als Christenmensch?? Verdammte Zwickmühle! Hätte sie ihn doch nicht wieder-
holt so aufreizend und interessiert angesehen, nur ihn vor allen anderen, dann 
ginge er gern zu ihr zurück, um ihr höflich beim Umsteigen zu helfen, hat er doch 
lediglich eine leichte Aktenmappe bei sich! Doch er springt beim Halt als erster 
hinaus  und  eilt  unverzüglich  zum  vorderen  Waggon,  beklommen  und  wie 
meschugge, geht nicht mal außen an das Fenster, um ihr wenigstens zu klopfen. 
Nein, schnurstracks hastet er davon und überlässt sie ihrem Schicksal. Soll sie 
eben mit dem nächsten Zug weiterfahren! Und wenn sie deshalb in Königstadt 
einen wichtigen Anschluss verpasst, z.B. den Intercity nach München-Salzburg? 
"Ach was, muss mir egal sein! Bin doch kein Babysitter junger Leute, die nicht 
auf Durchsagen achten, ihre Augen scheinbar nur dafür im Kopf haben, alte Kerle 
verrückt  zu  machen!  -  Blödmann,  mach,  dass  du  zurückkommst  und  deine 
primitivste,  normalste  mitmenschliche  Pflicht  erfüllst!!  -  Nein  und  nochmals 
nein, leck mich am Arsch, zum Teufel!!"  
Schließlich  kauert  er  bedeppert  vorn,  diesmal  allein  in  einem  Viererabteil  am 
Fenster,  kämpft  mit  sich  selber  und  mit  einem  unsichtbaren  Versucher,  denkt 
dabei nur an die bedauernswerte junge Frau, wie sie jetzt in dem abgehängten 
Wagen darauf wartet, dass es weitergehe, stattdessen buchstäblich sitzen gelassen 
wird.  Todunglücklich  vibrierend  schaut  er  auf  den  langen  Pulk  derer,  die  zur 
Unterführungstreppe drängen, ob sie nicht doch darunter wäre! Aber weit und 
breit niemand mit himbeerrotem Koffer. Gleich wird der Zeiger der Bahnhofsuhr 
auf die Abfahrtszeit hüpfen; die Zugtüren sind schon geschlossen. "Arschloch! 
Behämmerter  Vollidiot!  Wie  kann  man  über  eine  derart  zutiefst  unchristliche, 
inhumane Unbarmherzigkeit auch noch so etwas wie Genugtuung empfinden, nur 
weil ich mir einbilde, heute dem Teufel mal nicht auf den Leim gegangen zu 
sein?!" 
Aber  Martin  rechnet  wieder  mal  nicht  mit  dessen  Hartnäckigkeit.  Jetzt  über-
kommt ihn Mitleid: "Sie hat mir doch nichts getan, und an Hexen und Verhexen 
will ich doch als moderner Mensch nun wirklich nicht glauben. Kann ich denn  
tatenlos zusehen, wie sich über dieser Mitreisenden solch Ungemach zusammen- 
 
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braut, nur weil sie mir einige Male freundlich zulächelte?" Panik überfällt ihn! Er 
fährt  hoch,  will  zurückrennen!  Da  wird  er  unversehens  aus  seinem  inneren 
Schwitzkasten  befreit,  zwar  nicht  aus  eigener  Kraft,  sondern  weil  soeben  die 
hinterste  Wagentür  nochmals  geräuschvoll  aufspringt  und  es  tatsächlich  jene 
Dame ist, welche, überall an-eckend, hastig ihren Koffer hereinstößt und nach-
stolpert! Unmittelbar darauf schließt sich die automatische Tür und der Zug setzt 
sich in Bewegung. Vermutlich war doch noch ein Bahnbediensteter durch den 
abgehängten Waggon  gegangen  und  hatte  sie  entdeckt oder  von  außen  durchs 
Fenster. 
Sie hat in diesem aufregenden Moment genug mit sich selbst und ihrem Gepäck 
zu tun und ihn wohl nicht zunächst heranhasten, dann abrupt abbremsen und auf 
dem Absatz kehrtwenden sehen. Sogleich eilt er, sich abduckend, schleunigst zu 
seinem Platz zurück, hoch erleichtert. Zum Glück sind jetzt auch gleich hinter der 
Tür genug Sitze frei, und bestimmt wird sie auf dem erstbesten niedersinken, um 
sich von diesem Schreck zu erholen. Aber o Graus, schiebt doch dieses Weib  
seinen fahrbaren himbeerroten Klotz unaufhaltsam in die Tiefe des Raumes, an 
Plätzen zum Liegen vorbei und kommt trotz dem Geklapper und Gerüttel über 
Weichen sowie Schwankungen des Untergrundes immer näher. "Verdammt, sie 
wird sich doch nicht ausgerechnet mir gegenüber ans Fenster setzen wollen! Das 
wäre ja nun wirklich der Gipfel". Und tatsächlich, genau auf seiner Höhe scheint 
sie die sado-masochistische Lust am Kofferschieben verloren zu haben, schaut 
jedoch zum Glück nach rechts, wo allerdings beide Fensterplätze bereits belegt 
sind. Trotzdem lässt sie sich jetzt, offensichtlich total erschöpft, auf den Sitz am 
Durchgang fallen und den Oberkörper auf den Koffer. Ja gibt's denn so was?! Es 
ergab  sich  schlussendlich  -  bei  all  den  vielen  anderen  Möglichkeiten,  einem 
Lottohalbvolltreffer nicht unähnlich - die absolut gleiche Konstellation wie zuvor, 
außer dass Martin nun allein und am Fenster sitzt, mit hochrotem Kopf, diesen so 
in eine Hand gestützt, dass man sein Gesicht nicht sehen kann, aber er sie durch 
die  gespreizten  Finger  sehr  wohl.  O  wär  er  doch bei  ihrem,  wie  von  höherer 
Macht  gesteuertem  traumwandlerischem  Herannahen  davongelaufen,  den 
Kindern gleich im Spiel vor dem bösen Wolf oder schwarzen Mann! Hätte er 
wenigstens eine Perücke aus der Tasche zaubern können, um sich unkenntlich zu 
machen - ach was -  ein Königreich für eine Tarnkappe!! Zwar holte sie zuerst 
mal tief Luft und schüttelte beide Hände wie zu sich selbst sagend: 'Das ist ja 
nochmal gut gegangen'. Aber nun trifft ihn aufschauend ihr Blick und sie erkennt 
ihn leider, leider sofort wieder! Der schmachvoll verlegene Misanthrop erwartet 
nach der ersten Verwunderung nur noch Anzeichen von Abneigung, Verachtung, 
Abscheu, oder gar schon Hass und dass sie gar verbal über ihn herfalle, ihm vor 
den Leuten die Leviten zu lesen ob seines miesen Verhaltens, um ein für allemal 
klarzustellen, dass er das krasse Zerrbild eines Gentlemans ist. Aber das Gegenteil 
trat ein: Aus ihrem Engelsgesicht ist nur freudige Überraschung zu lesen, und 
dann überzieht es sich mit  holdseligem Lächeln, bis sie ihm schließlich strahlend 
zunickt wie einem guten alten Bekannten, lebendiger Beweis dafür, wie richtig 
Apostel  Paulus  im  1.Korintherbrief  die  Eigenschaften  wahrer  Liebe  benennt, 
selbst einer solchen nun wirklich ganz auf den ersten Blick und ohne auch nur ein 
einziges Wort: 'Sie ist langmütig und freundlich, stellt sich nicht ungebärdig, lässt 
sich nicht erbittern, rechnet das Böse nicht zu, duldet alles.' 
 
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Martins Beschämung nimmt katastrophale Ausmaße an! Na, wenigstens gelingt es 
ihm, zurückzulächeln, wohl wissend, dass er nun doch so etwas wie eine Ent-
schuldigung stammeln muss, schluckt diese aber trotzig hinunter und stellt sich 
wieder schlafend, bemerkt dennoch, wie sie wiederholt den Kopf schüttelt, als 
wolle sie sagen: 'Na, hat denn der Kerl kein Herz im Busen, dass er nicht merkt, 
wie sehr ich das meine gerade an ihn verlor!?' 
Währenddessen wendet sie traumverloren, weltvergessen kein Auge von ihm. Da 
schließt er die seinen eben lückenlos, um dies alles und von ihr überhaupt nichts 
mehr zu sehen! Deshalb entgeht ihm von dem, was jetzt in ungeduldiger Bälde 
geschehen wird, jegliche optische Wahrnehmung. Urplötzlich verspürt er einen 
sausenden Wind, nein, keinen bestimmten, der aber trotzdem seine Hosenbeine 
zum Flattern bringt, so als falle eine Bombe vom Himmel, und dann schlug es 
auch  schon  krachend  neben  ihm  ein.  Erschrocken  fährt  er  hoch  und  sieht  die 
Bescherung: Es ist der Kofferkoloss des Mädchens, der schräg über den Mittel-
gang in sein Abteil bis unmittelbar neben seinen rechten Fuß geplumpst war. Ja 
wie denn das?? Der Zug fuhr erschütterungsfrei auf gerader Strecke. Wie konnte 
da etwas umfallen? Nun ja, wer kennt sich schon in der Psyche und Gemüts-
verfassung  eines  solchen  rosaroséhimbeerroten,  hartschaligen  Monstergepäck-
stückes aus. Will es nicht mehr stehen, legt es sich eben flach, genau wie ein 
Boxer und noch dazu in bestimmter Richtung, ohne Rücksicht auf irgendwelche 
Hosenbeine.  Fraglos  gelingt  dies  alles  noch  viel  besser,  wenn  es  von  einem 
jungfräulichen??Gehirn über dessen zugehörigem Händchen entsprechend fernge-
steuert wird und vielleicht obendrein einen gut gezielten Schubs bekommt. Ja, 
wer  steckt  schon  in  Psyche  und  Gemütsverfassung  eines  mehr  oder  weniger 
jungfräulichen Gehirns! Das zugehörige Händchen ist da völlig unschuldig und 
bleibt  außen  vor.  Es  darf  alles,  nur  nicht  gemäß  elftem  Gebot  sich  erwischen 
lassen!  Und  so  wird  es  wohl  ein  weiteres  ungelöstes  Rätsel  bleiben,  weshalb 
dieser  monströse  Koffer,  vorher  doch  hoch  oben  an  seinem  Griff  von  seiner 
Herrin festgehalten, just dann, als Martin die Augen mal ausnahmsweise lücken-
los schloss, überhaupt umfiel und dann noch so, dass er ums Haar auf seine, von 
einem eingewachsenen Nagel entzündete, rechte Großzehe niederging. Wie weh 
so etwas tun kann, weiß jeder, dem mal ein Tapsdrein in gleicher Ausgangslage 
drauftrat! Oder denken wir an ein Hühnerauge!  
Ja, und da liegt er nun, und sein Griff zeigt unmissverständlich auf Paul Martin 
Grübler, als riefe er diesem zu: 'Glotz nicht so dumm, du bist gemeint! Heb mich  
gefälligst  auf!'  Und  was  sagt  die  zugehörige  Herrin?  Sich  entschuldigen? 
Denkste! Sie lächelt ihrem schräg Gegenüber wie gehabt zu, nein, nicht so ganz 
wie gehabt, sondern diesmal lausbubenhaft verschmitzt und spitzbübisch, als sei 
ihr soeben ein Streich geglückt wie dereinst Max und Moritz, als sie vergnügt 
vernahmen, dass bei Lehrer Lämpel mit Rums die Pfeife losging oder: 'Schon 
wieder tönt es meckmeckmeck, plumps, da ist der Schneider weg.' Hier passen-
der: meckmeckbum, und schon fiel der Koffer um. 
Eigentlich sollte nun sie, die wesentlich Jüngere, das Corpus delicti wenigstens 
wieder aufrichten! Aber wie? An ihrer Seite unten anpacken und es erst mal auf 
den Kopf stellen? Wer weiß, was da im Innern durcheinander geraten könnte, so 
wie den meisten Menschen bei einem Kopfstand!  Ihn irgendwie seitlich grap-
schen? Aber wo?  Fürs Umarmen ist er zu korpulent, was überhaupt das zentrale 
 
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Problem aller Dicken schlechthin ist, dass sie von keinem weiblichen Wesen so 
richtig ganzkörperlich umgriffen werden können, höchstens von einer Gibbon-
Dame. Starke Männerhände konnten ihn schon so oder so schnappen, aber nicht 
die eines schwachen Mädchens! 
Am einfachsten richtet man einen derartigen Kerl an seinem Griff auf. Aber um 
daran zu gelangen, müsste sie halsbrecherisch über das rote Ungetüm oder die 
Sitzpolster steigen. Und dann würde vielleicht der dort wie vom Schlag gelähmt 
in der Ecke Hockende, meinen, sie wolle von ihm, was Frauen gelegentlich so 
von Männern wollen! Das aber will sie hier offenbar denn doch nicht, nämlich 
öffentlichen Ärger erregen. Also wartet sie voll-gespannt schelmisch grinsend-
lächelnd  erst  mal  ab  und  überlässt  einem  unschlüssig  leicht  Geschockten  die 
Initiative, dem sie ja kurz zuvor buchstäblich kofferdick mit der Tür ins Haus fiel. 
Soll er ihn doch einfach liegen lassen und schlussendlich drüber krabbeln, wenn 
er  aus  dieser  Falle  heraus  will,  als  Strafe  für  sein  hundsgemein  impertinentes 
Verhalten beim Wagenwechsel  
Was blieb Martin anders übrig, als sich, verbal unaufgefordert, zu bücken, den  
tief  Gefallenen  am  Griff  zu  packen,  aufzurichten  und  seiner  hoffnungsvoll 
Hinterbliebenen zurückzuschieben. Doch dieses Weibsstück bzw. dessen Gehirn - 
oder war es zur Abwechslung mal wieder das Herz ? - sagte nicht etwa 'Danke!', 
sondern bedankte sich auf der ihm offenbar eigenen Weise, nämlich ohne Worte, 
indem es ein Händchen ganz wunderbar zart die hilfreiche Hand streicheln lässt, 
ehe es sein Eigentum fasst, zu sich heranzieht und fortan sicher verwahrt. Man 
kann ja einen solch gewiss originellen Scherz schlecht wiederholen, ohne noch 
zweifelsfreier  durchschaut  zu  werden  und  dann  über Gebühr  viel  von  sich 
preiszugeben. Überdies versucht der Liebkoste nun gar nicht mehr Schlaf vorzu-
täuschen,  sondern  starrt  mit jetzt  hasserfüllten,  weit  geöffneten Augen  in  eine 
entfernte hintere Ecke des Wagens, so als freute er sich über die erfahrene Art des 
Danksagens überhaupt nicht, ein völlig falscher Eindruck!! Aber Martin glaubt 
aus  dieser  Richtung  eine  altbekannte  Stimme  zu  hören,  die  ihm  eindringlich 
zuruft: "Sprich sie endlich an! Sie wartet doch nur darauf. Sie gehört dir. Nimm 
sie! Sie ist ein Geschenk von mir. Ein einmalig günstiges Schnäppchen! Martina 
rechnet ja noch lange nicht mit deinem Heimkommen. Geh mit diesem tollen 
Mädchen in ein Stundenhotel! Sie wird dir tabulos gefügig sein. Sie ist sogar noch 
Jungfrau,  darfst  sie  also  richtig  aufstoßen,  was  deine  Frau  dir  schon  mit 
fünfzehnkommafünfundsiebzig  beim ersten Mal nicht mehr bieten konnte, weil 
ihr  Häutchen  bereits  bei  frühpubertären  Sexspielchen  mit  einem  später  nach 
Kanerika ausgewanderten Vetter hops-ging. Jetzt hast du die Möglichkeit, diese 
tolle Sache auch mal zu erleben! Lass es dir nicht entgehen! Hast genauso wie 
deine ehebrecherische Gattin das Recht auf die Wonnen der Hurerei. Wer solche 
einmal genossen hat, geht mir immer wieder damit auf den Leim! Martina hat dir 
Freibriefe  genug  dafür  ausgestellt,  und  sie  betrügt  dich  insgeheim  weiterhin 
spontan bei jeder Fick-Gelegenheit, die ich ihr hinter deinem Rücken verschaffe. 
Auch du lebst nur einmal! Lass dir diese Köstlichkeit nicht entgehen! Los, zier 
dich nicht so! Frag doch mal deine Angetraute! Die kann dir bestätigen, dass es 
außerhalb der Ehe überhaupt viel viel genüsslicher ist; wahre Orgien sind das 
jedesmal!  Frag  nicht  nach  Gott!  Sollte  der  so  was  höllisch  Schönes  wirklich 
verboten haben??!! Glaub nicht an dieses Ammenmärchen! Folg deinem inneren  
 
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Schweinehund! Du wirst es nicht bereuen. Bete nicht lange, sonst ist sie weg!" 
Aber Martin betet dennoch still vor sich hin, mitten in diese triebhafte Bedrängnis      
hinein. Der große Martin hätte bestimmt wieder ein Tintenfässchen in jene Ecke 
geschmissen;  der  kleine  hat  jedoch  solch  ein  passendes  Wurfgeschoss  gerade 
nicht zur Hand, um es seinem Namensvetter nachzumachen, wozu der Grübler 
große Lust verspürte. Aber schon lange vor der Einfahrt in Königstadt steht er mit 
einem Ruck entschlossen auf, schenkt der heißen Verführung noch ein tröstend-
freundliches  Lächeln,  geht  weit  nach  vorne  durch,  wissend,  auf  diese  Weise 
schneller zur Unterführung und zum Ausgang zu kommen. Um alles abzusichern, 
dass er jaa zum Schluss nicht doch noch schwach wird, meldet er sich vor dem 
Bahnhof  per  Handy  bei  Martina  und  kündigt  seine  unmittelbar  bevorstehende 
Rückkehr an; er will heute auch dort keine schockierende Überraschung erleben 
wie  damals,  als  er  unerwartet  früh  aus  dem  Krankenhaus  kam  (s.Bd.2,  S.13). 
Sollte  ihm  die  junge  Süße  mit  ihrem  Koffer  doch  noch  vor  Ankunft  seines 
Vorortbusses einholend nachkommen, würde er sich schleunigst zu Fuß aus dem 
Staub machen und zwar so schnell, dass ihm kein Teufel folgen könnte, der so 
dumm ist, ständig einen schweren Koffer vor sich herzuschieben, auch nicht in  
Gestalt eines für ihn wie maßgeschneiderten Mädchens, welches ihm vorgaukelt, 
das von ihm zu erheischen, was Frauen im Bund mit dem Versucher nun mal 
häufig von Männern wollen, umgekehrt wohl eher noch häufiger.    
 
Mehr Beispiele dieser teuflischen Verführungskünste im Anhang! Eventuell als 
Bettlektüre  zu  empfehlen; befriedigender Ausgang  kann  anschließend ja  selbst 
gestaltet werden! 
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Martin und der Teufel

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